Gastbeitrag von Wolfgang Weber
Vor 70 Jahren riegelte das DDR-Regime die Grenze ab. Fast 40 Jahre lang litten die Menschen in Ost und West unter dieser menschenverachtenden Maßnahme. Die Grenze zerschnitt, was bis dahin zusammengehörte: Familien, Freunde, Kultur- und Naturräume.
Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung wurde jetzt im US Camp der Gedenkstätte Point Alpha an dieses dramatische Ereignis und seine verheerenden Folgen erinnert.
„Grenzen, die töten, Grenzen, die abgrenzen und ausgrenzen sind Verbrechen, sie sind Unrecht und Sünde zugleich. Sie gehören mit Mut und christlicher Zuversicht aus dieser Welt verbannt und für alle Zeiten auf den Müllhaufen der Geschichte“, forderte der Hauptredner Berthold Dücker.
Mit Stacheldraht und Sperren wurden ab 26. Mai 1952 die Wege in die Bundesrepublik unterbrochen. Direkt an der Grenzlinie wurde in den Folgetagen ein 10-Meter-Kontrollstreifen gerodet und Gebäude planiert. Die Grenzpolizei wurde aufgestockt. Ein fünf Kilometer breites Sperrgebiet entstand. Niemand soll mehr unbemerkt über die Grenze gelangen.
„Wir müssen über Grenzen reden, vor allem auch gegen das Vergessen und Verharmlosen“, forderte Dücker zu Beginn seiner Ansprache. Noch immer laufe ihm ein Schauder über den Rücken, wenn das Wort „Grenze“ falle oder er in Höhe des Hauses auf der Grenze mit dem Auto zwischen Geisa und Rasdorf die Stelle der früheren Grenze passiere.
Die deutsch-deutsche Geschichte hat den 74-Jährigen geprägt, er weiß wovon er erzählt. Er ist im Sperrgebiet Geisa geboren und
aufgewachsen, als Jugendlicher über den Todesstreifen geflüchtet, hat sich als Journalist für die Meinungsfreiheit stark gemacht, ging nach der Friedlichen Revolution zurück in den Heimatort, war Chefredakteur der Südthüringer Zeitung, Initiator für das Entstehen der Gedenk-, Mahn- und Bildungsstätte, Mitglied im Stiftungsrat, ehrenamtlicher Vorstand und ist heute noch engagierter Zeitzeuge.
„Die Grenzschließung hatte dramatische Auswirkungen auf die Menschen. Man war plötzlich ausgesperrt, abgesperrt, weggesperrt“, erinnerte Dücker. „Ein System, das sich selbst „humanistisch“, friedlich“, „demokratisch“ nannte, aber nahezu zwei Generationen lang für nichts anderes sorgte als für Angst, Schrecken und Tod.“
Als beschämend und einen himmelschreienden Skandal bezeichnete er es, dass bis heute nicht die genaue Zahl der Grenztoten bekannt sei. Auch 33 Jahre nach dem Fall der Grenze müsse man sich mit groben Schätzungen zufriedengeben.
„Nein, es war keine normale Staatsgrenze, es war nicht der antifaschistische Schutzwall, wie es die Lügenpropaganda der DDR immer wieder behauptete. Es war schlicht ein gigantisches Verbrechen am eigenen Volk, eine Sperre, damit dem Unrechtsregime nicht die Bürger wegrennen sowie ein Monstrum zum Schutz der ungezügelten Macht und Herrschaft einer zutiefst verdorbenen SED-Diktatur.“
Im Zusammenhang mit der Grenzabriegelung erinnerte Berthold Dücker an die Zwangsaussiedlungen. Die Bewohner des Grenzgebietes wurden registriert und viele von ihnen ins Landesinnere umgesiedelt.
„Allein in Thüringen mit seinen 750 Kilometern Innerdeutsche Grenze wurden 4200 Menschen offen als politisch unzuverlässiges „Ungeziefer“ deportiert“.
In seinen Ausführungen ging Dücker auch auf das Schicksal der geschleiften Höfe ein, die nicht zur Sicherheit der Eigentümer dem Erdboden gleichgemacht wurden, sondern weil die uralten Gehöfte vielmehr das freie Schussfeld behinderten und man natürlich keine Zeugen für die Verbrechen an der Grenze gebrauchen konnte.
Es sei den Heimat-Chronisten Bruno Leister und Wolfgang Christmann zu verdanken, dass sie mit ihrem Buch die Erinnerung an dieses dunkle Kapitel der DDR-Grenzgeschichte wachhielten.
„Den Zwangsausgesiedelten wurde eigentlich nie gesagt, was ihnen vorgeworfen wird und sie konnten keinen Widerspruch einlegen“, bestätigte Dr. Franziska Kuschel, Leiterin des Arbeitsbereichs Wissenschaft von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Kuschel würdigte die Bildungs- und Forschungsarbeit der Gedenkstätte Point Alpha und betonte, das Wissen der Zeitzeugen zu vermitteln, sei wichtiger denn je.
„Die Erinnerung zu teilen, ist das, was man als Nachgeborener noch machen könne“, sagte Dr. Peter Wurschi, Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, „um diese Bilder lebendig zu halten und um richtige Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können.“
Bis zum am 9. November 1989 war die Grenze für viele Alltag und noch heute zieht sie ihre Spuren in den Köpfen der Grenzbewohner – im Osten wie im Westen. „Es ist wichtiger denn je, dass sich die Zivilgesellschaft mit diesem Kapitel der Historie auseinandersetze“, meinte die Staatssekretärin für Kultur im Freistaat Thüringen, Tina Beer.
Die stellvertretende Vorsitzende der Point Alpha Stiftung forderte zudem, die politische Bildung der Bürger weiter zu stärken. Zuvor hatten am Denkmal der deutschen Teilung und Wiedervereinigung die thüringische und hessische Landesregierung, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Point Alpha Stiftung Kränze niedergelegt zum Gedenken an die Opfer der Teilung und ersten
Zwangsaussiedlungsaktionen.
„Das Einzige, was die Innerdeutsche Grenze von 1952 bis 1989 den Menschen zugefügt hat, war Leid“, rekapitulierte Benedikt Stock, Geschäftsführender Vorstand der Point Alpha Stiftung. Die Stiftung werde weiterhin alles dafür tun, die Schicksale von damals
zu erforschen, um noch unbekannte Geschichten der Öffentlichkeit bekanntzumachen.
Die Gedenkveranstaltung auf Point Alpha ist Teil der Themenreihe „Der Schnitt – Die Grenzabriegelung der DDR 1952“, die von den Mitgliedern des Thüringer Geschichtsverbundes und der Stiftung Naturschutz Thüringen präsentiert wird.
Gemeinsam mit den Menschen will man die einstige Innerdeutsche Grenze erkunden und fragen nach dem Leben damals, heute und zukünftig im ehemaligen Sperrgebiet und Zonenrand.
Musikalisch umrahmt wurde der Ablauf der Gedenkveranstaltung auf Point Alpha von der Gruppe „Sax and More“ unter Leitung von Martin Genßler.