Gastbeitrag von Wolfgang Weber
Die Wiedervereinigung und ihre Bedeutung für die Entwicklung von Deutschland und Europa werden an kaum einem anderen Ort in Hessen und Thüringen so deutlich wie auf Point Alpha.
„Wir Deutsche sind Weltmeister im Erinnern“, bemerkte Dr. Thomas de Maizière, ehemaliger Kanzleramts-, Innen- und Verteidigungsminister, beim Festakt zum „32. Tag der Deutschen Einheit“ im US Camp der Gedenkstätte.
Seiner beeindruckenden Festansprache auf Point Alpha fügte er dieser Erkenntnis auch gleich einen Wunsch hinzu: Er warb für einen unverkrampfteren Umgang mit der Entwicklung des wiedervereinigten Deutschlands, und man müsse Ansprüche und Erwartungen herunterschrauben.
Ständig von einer „innerer Einheit“ zu sprechen, sei romantisierend in einem Land, das schon immer durch Vielfalt und Unterschiedlichkeit gekennzeichnet war, meinte de Maizière. Er bevorzuge eine „Einigkeit“ im Sinne von Zusammenhalt als richtiges und realistisches Ziel.
Und deshalb finde er das Verwenden der Kategorien „Ost“ und „West“ nicht besonders schlimm. Regionale Unterschiede in Identität und Mentalität gelten für ihn als normal.
Er finde es jedenfalls nicht besser oder schlechter, wenn jemand sage, er ist Ostdeutscher oder Westdeuter, als wenn er sage, er ist Bayer oder Sachse. Dabei solle man sich aus der eigenen Herkunft und Haltung, aus eigenem Selbstbewusstsein und nicht durch Abgrenzung und Aggression gegen andere definieren.
Je überheblicher und negativer heute Westdeutsche über Ostdeutsche schreiben und reden, so der Ehrengast, desto negativer werde dort auch die Stimmung. Dieses gegenseitige „Mit-dem-Finger-auf-uns-zeigen“ sollten wir uns auf beiden Seiten abgewöhnen.
Er erhoffe sich ein positives Selbstverständnis in allen Teilen Deutschlands, ob West oder Ost, Nord oder Süd. „Alle zusammen sind wir Deutsche – in Einigkeit und Recht und Freiheit – das ist zentral“, betonte de Maizière.
„Am 9. November vor 33 Jahren haben sich wildfremde Menschen in den Armen gelegen, der Deutsche Bundestag spontan die Nationalhymne gesungen und die Leute auf der Mauer getanzt.
Wenn wir heute etwas von der Fröhlichkeit, von der Freunde, von dem Glück und der Zuversicht von damals wiederfinden würden, dann wäre der 3. Oktober sprichwörtlich ein Feier-Tag“, sagte der CDU-Politiker.
De Maizière war 1990 Mitglied der Verhandlungsdelegation für den deutsch-deutschen Einigungsvertrag. Innerhalb von acht Wochen war im Sommer 1990 das in der Urschrift 1000 Seiten umfassende Werk ausgearbeitet worden.
Der 68-Jährige hatte damals seinen Vetter, den letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière (CDU), als Berater unterstützt. Als Zeitzeuge ließ er die rund 250 Gäste auch an prägnanten Aspekten des Verhandlungsmarathons zum Einheitsvertrag teilhaben.
Dabei räumte er unumwunden auch Probleme und Fehleinschätzungen im Rahmen des Einigungsprozess ein. Statt Erlösen der Treuhand AG - wie von Experten prognostiziert - hätte am Ende ein dickes Defizit gestanden. Auch bei der Anerkennung von den beruflichen Abschlüssen der Ost-Bürger hätte Einiges besser laufen können. Insgesamt bezeichnete er die Wiedervereinigung aber als gelungen, als eine politische Großtat, auf die man stolz sein könne.
„Am 3. Oktober denken viele von uns an den Klang der Freiheitsglocke, an die Freudentränen, die nicht nur am damaligen Grenzübergang hier zwischen Rasdorf und Geisa geflossen sind, an die Aufbruchsstimmung. Ja: an Glück und an ein nicht geglaubtes Wunder“.
Mit diesen Worten hatte zuvor Dr. Stefan Heck, MdB und Vorsitzender der Point Alpha Stiftung, das Publikum begrüßt. Was können wir feiern in einer Zeit, in der mitten in Europa ein brutaler Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine geführt wird, Menschen sterben?
Muss die Zukunft etwa eine Rückkehr in die Vergangenheit sein, wenn wir Einheit, Sicherheit, Frieden und Freiheit haben wollen?
Müssen wir feiern in einer Zeit in der Zehntausende bei uns Zuflucht suchen? Einer Zeit, in der wir mit Klimawandel, Energiekrise, Verschwörungstheorien und Radikalismus vor so schwierigen Aufgaben stehen?
Die klare Antwort auf diese Fragen lieferte Dr. Heck gleich mit:
„Ja, es gibt etwas zu feiern. Die Einheit ist aus der Friedlichen Revolution erwachsen. Damit haben die Ostdeutschen den Westdeutschen und der ganzen Nation ein großes Geschenk gemacht. Sie hatten in einer kraftvollen Volksbewegung ihre Unterdrücker in der Diktatur besiegt. Sie haben die Freiheit errungen.“
Die Friedliche Revolution habe gezeigt: Wir Deutsche können Freiheit. Das darf - trotz aller aktueller Sorgen und Ängste - nicht in Vergessenheit geraten.
Mit dem Blick auf die Vergangenheit kann mit großer Dankbarkeit auf die Gegenwart geschaut und mutig die Zukunft gestaltet werden: In Ihren Ansprachen erinnerten weitere Gastredner aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Aspekten an die Ursachen, den Weg, die Leistungen, die Folgen und die Bedeutung der Einheit der Deutschen.
Für das Land Hessen sprach Stefan Sauer (Staatssekretär im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport) für den Freistaat Thüringen Dorothea Marx (Vizepräsidentin des Landtags) und für die U.S. Army Europe and Africa Major Stephen J. Maranian (Kommandierender General des 56. Artilleriekommandos).
Benedikt Stock, Geschäftsführender Vorstand der Point Alpha Stiftung, bedankte sich zum Abschluss für alle Beiträge und skizzierte noch einmal die Situation, die Herausforderungen und Ziele – vor allem mit dem Blick auf die Bildungsarbeit - die vor der Point Alpha Stiftung liegen.
Eingeleitet worden war der Festakt mit einer Kranzniederlegung unter Mitwirkung der Kyffhäuser- und Reservistenkameradschaft Grüsselbach mit dem Vorsitzenden Alfred Gollbach am Denkmal der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung.
Die Landtage und Staatskanzleien von Thüringen und Hessen sowie der Wartburgkreis und der Landkreis Fulda gedachten mit Kranzgestecken vor allem der Opfer, die zwischen Mauer und Stacheldraht ihr Leben ließen.
Erinnert wurde aber auch an die oppositionellen Bewegungen und mutigen Menschen, die mit ihren Protesten die Friedliche Revolution erst ermöglicht haben. Musikalisch umrahmt wurde der Festakt durch die Stadtkapelle Geisa unter der Leitung von Stephan Nimmich, die mit Stücken wie „Highland Cathedral“, „Air“ oder “I will follow him “ unterhielt.
Unter den Gästen waren:
Landtag Hessen: Vizepräsident Dr. Jörg-Uwe Hahn (FDP), Silvia Brünnel (Die Grünen), Thomas Hering (CDU), Sebastian Müller (CDU)
Landtag Thüringen: Martin Henkel (CDU), Raymond Walk (CDU)
Erster Kreisbeigeordneter des Landkreises Fulda Frederik Schmitt (CDU),
Erster Kreisbeigeordneter des Wartburgkreises Udo Schilling (CDU),
die Bürgermeisterin der Point-Alpha-Stadt Geisa, Manuela Henkel, der Bürgermeister der Point-Alpha-Gemeinde Rasdorf Jürgen Hahn,
Denis Peisker, Leiter Stiftung Naturschutz Thüringen, Generalvikar Prälat Christof Steinert, Dechant Markus Blümel, Mitglieder des Fördervereins Point Alpha, Mitglieder des Kuratoriums Deutsche Einheit und Mitglieder des Stiftungsrats Point Alpha.