Gastbeitrag von Anna-Lena Bieneck
Die Erfassung und Untersuchung von Quellen und ihren Standorten zählt zu den größten länderübergreifenden Projekten im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön.
Und sie ist beispiellos: Nirgendwo sonst in Europa werden Quellen wohl so detailliert erforscht wie in der Rhön. Mit Blick auf den Klimawandel und die Auswirkungen auf unsere Grundwasserressourcen wird deutlich, wie wertvoll die Ergebnisse sind und sein werden.
Auch in diesem Jahr wurde die Erfassung fortgesetzt, insgesamt wurden 103 weitere Quellen untersucht. Der Trend der vergangenen Jahre setzt sich fort: In den Quellbiotopen finden sich zwar noch seltene spezialisierte Arten wie Rhönquellschnecke und Alpenstrudelwurm – die wertvollen Lebensräume sind aber immer stärker gefährdet.
Der Schwerpunkt der Kartierung lag in der Kennzeichnung der faunistischen Besiedelung der Quellen, über die auch Aussagen zum Zustand der Quellbiotope getroffen werden können.
Außerdem wurden physikalische Parameter – Temperatur, pH-Wert, Leitfähigkeit – gemessen und das Pflanzenvorkommen an den Quellen erfasst.
Die Kartierungsarbeiten werden im Auftrag der Verwaltungen des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön vom Landesverband für Höhlen- und Karstforschung Hessen e.V. ausgeführt, der schon im Jahr 1996 mit der Erfassung von Quellstandorten in der Rhön begonnen hat.
Mit Stand Oktober 2022 sind derzeit im Naturraum Rhön nun 3.950 Quellen kartiert – 2600 in Hessen, 771 in Thüringen und 579 in Bayern –, in denen 2.641 Tierarten nachgewiesen werden konnten.
„Damit dürfte die Rhön weiterhin das am besten untersuchte Mittelgebirge Europas sein“, bilanziert der Quellen-Experte Stefan Zaenker aus Fulda im aktuellen Untersuchungsbericht.
Auf hessischer Seite wurden in diesem Jahr im Oberen Ulstertal bei Wüstensachsen 52 Quellen kartiert und untersucht. Die Quellen liegen im mittleren Buntsandstein – ein Teil befindet sich in Feldgehölzen oder in feuchten Erlenwäldern, der Rest auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, also Mäh- und Weideflächen.
Im Thüringer Teil des Biosphärenreservats wurden insgesamt 38 Quellen bei Brunnhartshausen sowie 13 im Ort liegende, öffentlich zugängliche Laufbrunnen in Stepfershausen untersucht.
Die Brunnen liegen im oberen Buntsandstein, werden aber aus den Quellen der Geba gespeist, die hier im unteren Muschelkalk liegen.
Die gute Qualität der unbeeinträchtigten Quellen ist durch den Nachweis verschiedener Leitarten dokumentiert. So wurden beispielsweise Grundwasser besiedelnde Krebsarten nachgewiesen – wie Grundwasserflohkrebse der Gattung Niphargus.
„Die Funde sprechen für ein weitgehend intaktes Ökosystem im Grundwasserkörper des Biosphärenreservats“, erklärt Stefan Zaenker.
Die endemisch nur in der Rhön und im Vogelsberg sowie in den angrenzenden Randbereichen des Spessarts und des Fulda-Haune-Tafellandes vorkommende Rhönquellschnecke (Bythinella compressa) konnte in Hessen in 23, in Thüringen in vier der untersuchten Quellen festgestellt werden.
An jeweils vier Standorten wurde zudem Crenobia alpina gefunden – ein besonderes Tier mit dem einprägsamen deutschen Namen Alpenstrudelwurm.
Besonders ist die Art, weil sie als Glazialrelikt, also „eiszeitliches“ Relikt gilt, und weil sie zudem ein Anzeiger für absolut sauberes Wasser ist.
Als krenobionte Art gilt die Vierkant-Quellköcherfliege (Crunoecia irrorata), deren Larven sowohl in Hessen (sechs Standorte) und in Thüringen (acht Standorte) nachgewiesen wurde.
„Es sollte alles dafür getan werden, den bisherigen Zustand dieser Quellen zu erhalten oder zu verbessern.“
Denn: Viele der Quellen – in Thüringen alle der 38 untersuchten Quellen bei Brunnhartshausen – sind vor allem durch landwirtschaftliche Nutzung (Eutrophierung, Viehvertritt), aber auch durch Fassungen, Drainagen, Wasserentnahmen für die Teichwirtschaft und Müllablagerungen gefährdet.
Besonders beeinträchtigt ist unter anderem der Quellbach unterhalb der Schmerbach-Nebenquellen im Bereich Neidhartshausen, der bereits auf einer kurzen Strecke trockenfällt.
Der jährliche Untersuchungsbericht enthält daher auch Maßnahmenvorschläge für die Verbesserung der Quellstandorte und deren Erhalt als Lebensraum für eine Vielzahl quellspezifischer Tier- und Pflanzenarten.
So werden zum Beispiel in Hessen gefasste Quellen stückweise zurückgebaut und Wanderhindernisse für Tierarten entfernt – in Zusammenarbeit mit Wasser- und Naturschutzbehörden, der Biosphären-Verwaltung und HessenForst.
„Gerade im Hinblick auf die Klimaveränderungen ist es enorm wichtig, die Kartierungsarbeiten im Biosphärenreservat auch in Zukunft fortzusetzen, da bisher nur ein Teil der Quellstandorte bekannt ist und hinsichtlich des Artenspektrums noch einige zoologische Überraschungen zu erwarten sind“, betont Stefan Zaenker.
Erstmals in Deutschland wird hier eine Mittelgebirgsregion flächendeckend und länderübergreifend untersucht – nach einheitlichen Standards.
Die Verwaltungen des Biosphärenreservats setzen das Projekt daher auch im kommenden Jahr fort – dann auch wieder auf der bayerischen Seite.
Hintergrund: Quellen und ihre Bedeutung als Lebensraum
Nach dem Bundesnaturschutzgesetz handelt es sich bei Quellbereichen um gesetzlich geschützte Biotope. Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung dieser Biotope führen können, sind verboten.
Mit gutem Grund: Als Grenzlebensraum zwischen Grundwasser und Oberflächengewässer haben Quellen eine hohe Bedeutung für spezialisierte Tier- und Pflanzenarten, die an diese besonderen Umweltbedingungen angepasst sind.
Aus dem Grundwasser werden Organismen wie Höhlenflohkrebse, Muschelkrebse und Ruderfußkrebse eingespült, oder sie wandern aktiv ein. Fliegen- und Mückenlarven nutzen die Quellen bis zur Flugfähigkeit als Kinderstube, und in strömungsarmen Bereichen kommen Wasser- und Schwimmkäfer vor.
Tiere aus feuchten Landlebensräumen kommen in die Quellbereiche, um zu jagen oder ihre Brut zu legen: der Feuersalamander, verschiedene Insekten, Spinnentiere, Tausendfüßer, Asseln und Schnecken.
Die wohl prominenteste Bewohnerin ist die Rhönquellschnecke (Bythinella compressa): Die nur etwa 2 Millimeter große Schnecke kommt als endemische Art weltweit nur in einem kleinen Areal im Dreiländereck Hessen, Bayern und Thüringen vor.
Wie alle Arten, die in den Quellbiotopen existieren können, reagiert sie sehr empfindlich auf Störungen und auf menschliche Beeinflussungen.
Um solche Störungen und Umweltbelastungen zu ermitteln und Maßnahmen zur Verbesserung und zum Erhalt der einzigartigen Quellstandorte entwickeln zu können, läuft im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön bereits seit 1996 das länderübergreifende Projekt zur Kartierung der Quellstandorte.
Alle Hintergrundinfos und Untersuchungsberichte finden Interessierte unter https://rhoen.quellen-grundwasser.de/