Gastbeitrag von Nadja Moalem
Wer die Küche von Oliver Kirchner betritt, darf gleich auf dem „Baum seiner Kindheit“ Platz nehmen, einer schönen rustikalen Bank aus Eschenholz. Die Bank war einst ein hundertjähriger Straßenbaum, der 70 Meter entfernt von seinem Elternhaus stand.
Mit großem persönlichen Einsatz hat Kirchner ihn vor dem Schredder bewahrt und etwas Neues daraus machen lassen. Sie ist ein Symbol dafür, wie tief verwurzelt er mit seiner Heimat ist und für die er auch als Landwirt alles gibt.
Als Landwirt legt Oliver Kirchner viel Wert auf Vielfalt, sowohl bei den Tieren auf dem Hof, bei seinen Erwerbsquellen, als auch bei der Artenvielfalt auf den von ihm bearbeiteten Flächen.
Eine Pinzgauer Mutterkuhherde mit 20 Kühen, eine Ziegenherde mit 15 Tieren und 30 Coburger Fuchsschafe gehören zum Hof. Im Sommer werden die Ställe für die Mast von Enten, Gänsen, Puten und Hähnchen genutzt, deren Fleisch in kleinen Mengen direktvermarktet wird.
Insgesamt bewirtschaftet die Familie 85 Hektar, darunter vier Hektar Acker. Die schöne Landschaft mit ihrer einzigartigen Naturausstattung hat Oliver Kirchner von seinen Vorfahren geerbt – er sieht es als eine Verpflichtung seiner Familie an, sie zu erhalten.
Kirchner erzählt von seiner Oma, die auch eine Fläche im benachbarten Truppenübungsplatz bewirtschaftete: „Wenn sie mit dem Fuhrwerk hochfuhr, um die kleine Parzelle mit der Hand zu mähen oder Gras zu wenden, war das eine Tagesreise“.
Heute ist er in wenigen Stunden mit allen Grünlandflächen fertig. Die moderne Landwirtschaft hat auch vor seinem Betrieb nicht haltgemacht, dennoch will er dem Naturschutz Raum geben.
Deshalb hat er auf Bio-Landwirtschaft umgestellt und versucht einen Stoffkreislauf zu verwirklichen.
Im Rahmen des Vertragsnaturschutzes, den der Fachdienst Natur und Landschaft beim Landkreis Fulda koordiniert, hat er sich dazu verpflichtet, artenreiche Wiesen erst zu mähen, wenn die Blüte vorbei ist und die Samen ausgefallen sind.
Außerdem nimmt er bei der Bewirtschaftung seiner Flächen Rücksicht auf brütende Vögel, zum Beispiel mit angepassten Mahd-Terminen.
Mit dem Team des LIFE-Projekt „Rhöner Bergwiesen“ (UNESCO-Biosphärenreservat Rhön) stimmt er die Beweidungstermine auf den Huteflächen ab. Das ist besonders wichtig auf Flächen, die zuvor entbuscht wurden, um die Bergwiesen zu fördern.
Zusammenarbeit ist für ihn das A und O: „Der Landwirt kann nicht alleine, das Biosphärenreservat kann nicht alleine und der Naturschutz kann nicht alleine bestehen. Alle müssen zusammenarbeiten.“
Kirchner ist selbst mit der Landwirtschaft aufgewachsen, seine Eltern hatten einen kleinen Nebenerwerbsbetrieb in Rommers. Seinen eigenen Hof, von dem er schon als Kind träumte, verwirklichte der gelernte Maurer vor 25 Jahren in kleinen Schritten.
Mit drei Hektar startete er eine eigene Nebenerwerbs-Landwirtschaft. Es kamen nicht nur zusätzliche Flächen dazu. Oliver Kirchner machte neben seiner Arbeit als Maurer bei einem Garten- und Landschaftsbaubetrieb eine Ausbildung zum Landwirt und legte 2019 erfolgreich seine Prüfung ab.
Mit seiner Partnerin Anja Girz, die „nie einen Landwirt heiraten“ wollte, gründete er eine Familie. Die drei Töchter Lina, Anna und Emma helfen tatkräftig auf dem Hof mit. Ob bei den Tieren, bei der Arbeit mit dem Hoflader oder im Gemüsegarten, überall gibt es für die Kinder schon etwas zu tun.
Anja Girz hat eine Ausbildung zur Erlebnisbäuerin gemacht. Sie brachte das Thema Umweltbildung auf den Hof, der sich nun offiziell „Schul- und Erlebnisbauernhof“ nennen darf.
Anja Girz ist das Zugpferd, wenn es um ausgefeilte und professionelle Angebote für Kindergärten, Schulklassen oder die Jugendherberge in Gersfeld geht.
Bei einem Besuch auf dem Hof lernen Kinder spielerisch, aber mit festen Regeln, wesentliche Zusammenhänge in der Natur und der Landwirtschaft kennen. Der respektvolle Umgang mit den Tieren steht dabei im Vordergrund.
Inzwischen ist der Hof auch eine beliebte Adresse für Seniorengruppen oder Menschen mit Handicap. In den Ferien kommen häufig Familien zu Besuch, für die individuelle Angebote gestaltet werden.
Das schafft Anja Girz alles neben ihrem zweiten Standbein als Groß- und Außenhandels-Kauffrau.
Oliver Kirchner und seine Familie lieben ihr „Land der offenen Fernen“ und möchten mit ihrer Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass es erhalten bleibt.
Wenn man ihn fragt, was für ihn Glück bedeutet, muss er nicht lange überlegen: „Wenn ich abends auf der Dalherdakuppe stehe, Schafe um mich rum, eine tolle Aussicht bis zum Vogelsberg oder Taunus, und die Sonne geht unter. Diese Momente sind unbezahlbar!“