Stall, Acker & Dorf ins Kollektiv gezwungen – Podiumsgespräch auf Point Alpha

Gastbeitrag von Wolfgang Weber

Erst hü, dann hott und dann im Galopp: Von der Enteignung der Großbauern hin zum Kleinbauerntum, dann die Kehrtwende zum Agrargenossen in der LPG und schließlich mit der Wiedervereinigung der nächste Bruch mit dem Übergang in die Marktwirtschaft.

Die Geschichte der Landwirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern ist geprägt von harten (Um-)Brüchen. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar.

Ursachen und Folgen von „Plattenbau, Tierproduktion und Chemisierung – Die Industrialisierung der DDR-Landwirtschaft“ wurden im Rahmen eines Podiumsgespräches im Haus auf der Grenze der Gedenkstätte Point Alpha in den Blick genommen.

70 Jahre ist es her, dass die DDR die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft einläutete. Fridtjof Florian Dossin (Bauhaus Universität Weimar) berichtete zu Beginn über die Entwicklungen der Landwirtschaft in der DDR, Veränderungen im gesellschaftlichen Leben und baulichen Konzeptionen in den Dörfern auf dem Land.

Danach diskutierte er mit Prof. Dr. Fritz Schumann (LPG-Vorsitzender vor und nach der Wiedervereinigung) und Dr. Elke Kimmel (Leibnitz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) über die kommunistische Agrarpolitik und die Transformation der ostdeutschen Agrarindustrie nach 1989/90. Moderiert wurde das Gespräch auf Point Alpha von der Historikerin Dr. Ulrike Schulz.

Begrüßt und kompakt ins Thema eingeführt hatten zuvor Benedikt Stock (Geschäftsführender Vorstand der Point Alpha Stiftung) und Dr. Peter Wurschi (Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur des Freistaates Thüringen).

1952 beschließt die SED offiziell, die Agrarwirtschaft zu kollektivieren. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) sollten die Lösung bringen.

Dabei ging die Planung doch erst in die völlig entgegengesetzte Richtung: In der sowjetischen Besatzungszone war nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst eine Bodenreform eingeleitet worden, verbunden mit Enteignungen von Großgrundbesitzern.

Unter der Parole "Junkerland in Bauernhand" wurde der Landbesitz radikal umverteilt. Tausende meist unerfahrene Kleinbauern pflügten nun auf kleinen Flächen, die kaum rentabel zu bestellen waren.

Die DDR-Führung erkannte das Dilemma. Wie auch andere Industriezweige und das Handwerk, wurde die Landwirtschaft nach dem Vorbild der sowjetischen Planwirtschaft verstaatlicht und zentral gelenkt; auch die Bauern sollten den im Kommunismus vorgegeben Pfad "Vom Ich zum Wir" einschlagen.

„Alle Mitglieder erhalten leistungsbezogene Löhne und Gewinnbeteiligungen. Wer nicht freiwillig mitmacht wird gezwungen“, blickt der ehemalige LPG-Vorsitzende Schumann zurück.

„Im sogenannten sozialistischen Frühling treten rund 500.000 Bauern den LPG bei. Vorgegeben werden Quoten für Produktion und Ernte, die erfüllt werden mussten.“

Viele Landwirte entziehen sich dieser Zermürbungstaktik durch Flucht. Die verlassene Scholle wird enteignet. In den Folgejahren mussten die unwirtschaftlich arbeitenden LPGen mit großem Aufwand stabilisiert werden.

In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde der Zusammenschluss kleinerer LPGen zu industrialisierten Großbetrieben vorangetrieben und die Produktion spezialisiert.

Zwar konnte die Versorgungslage verbessert werden, doch wie in den anderen Bereichen der Planwirtschaft arbeiteten nur wenige Betriebe wirklich effizient. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffte ein großes Loch.

Parallel wurde versucht, den ländlichen Raum den städtischen Verhältnissen der Arbeiter anzupassen. Bauern und kleine Dörfer sollten verschwinden und durch technisch ausgebildete Landarbeiter in Siedlungszentren ersetzt werden.

„Agrostädte“, wie Ferdinandsdorf oder Dedelow galten als Vorzeige-Experimente. „Ziel waren künstlich strukturierte Orte mit Geschoss- oder Plattenbauten, zentralen Kultur-, Dienstleistungs- oder Versorgungseinheiten, Schulen und einer Maschinen-Traktor-Station“, erklärt Dossin, „und die Arbeitsstelle, die LPG, lag weit draußen vor den Toren des Dorfes.“

Mancher dieser riesigen Anlagen und Ställe seien noch in ihrer ursprünglichen Form erhalten, stünden aber leer. Andere seien dagegen bis heute in Betrieb. Für Dossin sind diese Silos Sinnbild einer industrialisierten Landwirtschaft.

Sie seien sehr hoch und von weitem zu sehen und prägten damit das Landschaftsbild. „Sie sind ein dunkles Erbe, was in der Denkmalpflege als unbequem gilt. Aber gerade deshalb sollte man es erhalten“, plädiert der Experte für Architektur und Städteplanung.

„Die deutsche Einheit 1990 bedeutete wie für die gesamte Wirtschaft der ehemaligen DDR einen radikalen Richtungswechsel. Die Umwandlung der LPGen nach der Wende in eine Rechtsform nach bundesdeutschem Recht war ein hochkomplexes und allein schon deshalb fehleranfälliges Unterfangen“, erläuterte Dr. Elke Kimmel, die dafür intensiv die Berichterstattung der Medien analysiert hat.

Für die Beschäftigten waren die Folgen gravierend: von vormals 923.000 blieben im Jahr 2007 noch 150.000 Beschäftigte übrig, die Arbeiter aus den weiterverarbeitenden Betrieben noch nicht eingerechnet. Das habe Frust und Perspektivlosigkeit erzeugt.

„LPG-Mitglieder schlossen sich nach der Wende zu Agrargenossenschaften zusammen, nur wenige gründeten Privatbetriebe, andere wurden aufgekauft oder abgewickelt“, ergänzte Schumann.

Im Anschluss diskutierte das Publikum noch angeregt mit den Gästen auf dem Podium. Der Landrat des Wartburgkreis, Reinhard Krebs, der ebenfalls Landwirtschaft studiert hat, dankte den Bauern für die gute Arbeit in der Vergangenheit, kritisierte wie auch andere Gäste die verfehlte Agrarpolitik der DDR.

Durch die immense Konzentration hätten die Großbetriebe erhebliche Probleme sowie Umweltschäden verursacht, vor allem durch Überdüngung, Abwässer und Massentierhaltung.