August Spies aus Friedewald – Ein deutscher Amerika-Auswanderer bezahlte mit dem Leben

Beitrag von Michael Knauf

Am 10. Dezember 1855 erblickte August Spies als ältester Sohn des Försters Wilhelm Heinrich Spies und dessen Ehefrau, der Gastwirtstochter Christine (geb. Ringler) im hessischen Friedewald in der Vorder-Rhön das Licht der Welt.

Sein Geburtshaus stand in der Motzfelder Straße 135 (heute Nr.: 6). Sein Vater war als Forstschutzjäger im Forstamt von Friedewald tätig. Das Forstamt befand sich im Marstallgebäude des Schlosses von Friedewald.

Geburtshaus von August Spieß in Friedewald, Motzfelder Strasse Nr. 06

Er hatte später noch jüngere Geschwister, die Schwester Gretchen und die Brüder Christian, Ferdinand und Heinrich. Durch die gute Stellung und den Verdienst des Vaters war es möglich, dass August keine staatliche Schule besuchen musste, vielmehr wurde er in der örtlichen Privatschule von Lehrer Welter unterrichtet.

Später konnte er das Polytechnikum, eine höhere Gewerbeschule, in Kassel besuchen. Wo er bei seinem Taufpaten, dem Gardekorporal August Spies in Kassel wohnte. Am Polytechnikum wurden bis zu 21 Fächer unterrichtet. August war es nur vergönnt an diese Schule, ohne Abschluss, für fast zwei Jahre zu lernen.

Ansichtskarte Friedewald, Kupferstich von Meißner 1608

Durch den frühen Tod des Vaters im Jahr 1871 bekam die nun sechsköpfige Familie, trotz Unterstützung von Verwandten, finanzielle Schwierigkeiten. Nach langen Überlegungen entschloss sich der junge Mann 1872, wie damals ca. 115.000 andere Bürger des deutschen Kaiserreichs, seine geliebte Heimat per Schiff nach Amerika zu verlassen und auszuwandern.

Aus seinem Heimatort Friedewald suchten einige hundert Mitbürger ihr Glück in der Neuen Welt. In Friedewald existierte eine Hauptagentur des Norddeutschen Lloyd, welche Überfahrten mit einer Flotte von 24 Postdampfschiffen und Überseedampfern von Bremen nach New York, zweimal in der Woche organisierte.

Friedewald um 1960

Eine Seereise im Zwischendeck kostete beachtliche 55 Taler. August Spies kam laut Archivunterlagen der New Yorker Hafenbehörde in Castle Garden am 26. April 1872, als Einwanderer Nr. 451, mit dem Dampfer Weser, in den Vereinigten Staaten an.

Da er weder über eine Berufsausbildung noch einen Abschluss verfügte, begann er kurz nach seiner Ankunft in New York eine Lehre in der Möbelbranche als Polsterer. Im Jahr 1874 nahm August in Chicago eine Beschäftigung als Polsterer-Geselle an.

Im Jahr 1605 erbautes ehemaliges Marstallgebäude im Schloß von Friedewald, hier war später die Forstverwaltung untergebracht. Ab 1968 das Domizil des Heimatmuseum. Der Vater von August Spieß war hier einige Jahre beschäftigt.

In der Stadt lebten sehr viele deutschstämmige Amerikaner, die sich um eine Integration in der neuen Welt bemühten. Trotzdem pflegten sie noch deutsche Tugenden, Bräuche und Lebensweisen.

August kam erstmals mit Gewerkschaftsorganisationen in Berührung. Durch Vermittlung eines Landsmanns konnte August 1976 sein eigenes Polstergeschäft mit einer kleinen Werkstatt, in der hauptsächlich von deutschstämmigen Geschäftsleuten bewohnte Chicagoer Nordwestseite eröffnen.

Wasserburgruine Friedewald

Im gleichen Jahr kam seine Mutter mit der Schwester und den drei Brüdern, als Auswanderer, nach Chicago. Die Familie war wieder vereint und sie wohnten alle anfangs gemeinsam bei August.

Da er ein starkes Interesse am Kampf der Arbeiterbewegung, für die Durchsetzung des 8-Stunden-Tags und gegen Kinderarbeit bekundete, entschloss sich Spies 1877 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei von Nordamerika zu werden.

Prospekt: Hamburg-Amerika Linie, New York-Dienst

Durch die äußerst brutale Niederschlagung des größten Streiks (Grat Railroad Strike) des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten, trat Spieß in einer Organisation bewaffneter Arbeiter ein. Da die Chicagoer Arbeiterzeitungen „Vorbote“ und die Sonntagszeitung „Die Fackel“, am Rande des Bankrotts standen, übernahm Spies 1880 die Geschäftsführung als Manager und wurde deren Herausgeber.

Von 1884 bis 1886 übte er das Amt des Chefredakteurs aus. Außerdem knüpfte er internationale Kontakte und organisierte Kongresse der Sozialdemokraten im In- und Ausland. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Vereinigten Staaten in einer tiefen Wirtschaftskrise.

Porträt von August Spieß, um 1886

Die Regierung kürzte die Mittel für soziale Leistungen fast gänzlich und unterstützte vorwiegend das Bankenwesen. Die arbeitende Bevölkerung hatte einen 12-Stunden-Arbeitstag bei ganz geringen Einkünften zu leisten.

Die Gewerkschaften riefen zum Streik auf und am 1. Mai 1886 zogen um die 500.000 Einwohner in Protestmärschen durch die Stadt Chicago. Durch diese Streiks wurden die Unternehmen hart getroffen und die Produktion kam gänzlich zum Erliegen.

Am 3. Mai waren die Proteststreiks immer noch nicht beendet. Die Polizei wollte die Protestmärsche brutal auflösen, es wurden bei Zusammenstößen sechs Streikende erschossen.

Die Ehefrau Nina von August Spies

Einen Tag später, während einer Redeveranstaltung der Sozialdemokraten am Haymarket Square, will die Polizei diese brutal und gewaltsam auflösen. Mitten in den anrückenden Polizeieinheiten explodierte plötzlich eine Granate oder eine Bombe. Die Streikenden flüchteten, die Polizei schießt wahllos in die Menschenmenge. Am Abend sind achtzehn Menschen tot, darunter sieben Polizeibeamte.

Über 200 Arbeiter sollen verletzt worden sein. Es konnte nie aufgeklärt werden, wer den Sprengstoffanschlag wirklich verübt hatte. Es kam zu keinen nennenswerten Vorermittlungen, der Chicagoer Polizeichef ließ hauptsächlich die Anführer des Streik-Komitees verhaften.

Zuerst den Herausgeber der „Arbeiter-Zeitung“, August Spieß. Er hatte durch seine Publikationen unermüdlich die schlechten Arbeits-und Lebensbedingungen der Arbeiter in den USA angeprangert und wurde dadurch von der Obrigkeit in die Ecke der Radikalen und der Anarchisten gestellt.

Buch-Publikation über August Spies

Vom 7. bis zum 9. Oktober 1886 fand der Prozess gegen Spies und weitere sieben, als Anarchisten bezeichnete Angeklagte statt. Sieben von ihnen wurden zum Tode durch den Strang verurteilt, der achte Delinquent bekam eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren.

Drei von ihnen wurden sechs Jahre später begnadigt. Der gesamte Prozess war eine Farce. Keiner der acht Angeklagten konnte mit dem Fall in Verbindung gebracht werden, einige Zeugen sollen bestochen worden sein und die zwölf Geschworen wurden parteiisch ausgewählt.

Doch weltweite Proteste, Revisionen und Gnadengesuche an den Gouverneur Oglesby, vom Bundesstaat Illinois, blieben erfolglos. Jetzt begann für Spies bis zu der geplanten Hinrichtung eine achtzehn Monate andauernde Haft.

Porträt von August Spieß, um 1886

In dieser Zeit bekam er im Gefängnis sehr viel Post mit Solidaritäts Bekundungen und prominenten Besuchern, wie beispielsweise von dem damaligen Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten Wilhelm Liebknecht oder von der jüngsten Tochter von Karl Marx, Eleanor Marx-Aveling.

Auch bahnte sich, durch Besuche im Gefängnis, eine Liebesbeziehung zwischen der Fabrikantentochter Nina van Zandt und Spieß an, welche schließlich durch eine Ferntrauung am 29. Januar 1887 besiegelt wurde. Alle Versuche die Todesurteile abzuwenden oder in Haftstrafen umzuwandeln blieben erfolglos.

Am 11. November 1887 wurde der 31-jährige Journalist und Sprecher der Arbeiterbewegung August Spieß mit seinen Leidensgenossen und Mitkämpfern George Engel, Albert Parsons und Adolph Fischer durch den Strang hingerichtet. Seine letzten Worte sollen gelautet haben: „Es wird der Tag kommen, an dem unsere Stille mehr Macht hat als die Stimmen, denen ihr heute den Hals zuschnürt.“

11. November 1887: Hinrichtung von Spies,Fischer, Parsons und Engel

Die „Zweite Internationale“, ein Bündnis weltweiter sozialdemokratischer Organisationen, verkündete auf dem Gründungskongress 1889 den 1. Mai, in Erinnerung an die schlimmen Vorfälle am Chicagoer Haymarket und den nachfolgenden Justizmorden, zum internationalen Kampftag der Arbeiterklasse auszurufen. Ab dem Jahr 1890 wird weltweit durch Gewerkschaften, der 1. Mai feierlich mit oder durch Demonstrationen und Kundgebungen gewürdigt.

1893 hob der amtierende Gouverneur von Illinois, John Peter Altgeld, der ebenfalls ein deutscher Einwanderer war, das Urteil gegen August Spies und seinen Mitstreitern auf. August Spies und seine Leidensgenossen waren rehabilitiert.

1963 lobte der damalige US-Präsident John F. Kennedy die Revision des Gouverneur Altgeld als ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage.
In seinem hessischen Geburtsort Friedewald wurde für den bekanntesten Sohn der Gemeinde am 4. September 1993 ein Denkmal würdevoll eingeweiht und der umgebende Platz nach ihm benannt.

Gedenkstein für August Spies in Friedewald, eingeweiht am 4. September 1993

Am Gedenkstein, ein Sandsteinquader, wurde eine Bronzeplatte mit folgender Inschrift eingelassen:

„AUGUST SPIES, geb. am 10. Dez. 1855 in Friedewald, emigrierte 1872 in die USA und wurde als Chef der „Chicagoer Arbeiter-Zeitung“ maßgeblicher Sprecher der sozialrevolutionären Flügels der amerikanischen Arbeiterbewegung. August Spies wurde 1887 nach dem skandalösen Haymarketprozeß unschuldig hingerichtet, 1893 durch Gouverneur Altgeld rehabilitiert.“

Gedenkstein für August Spies in Friedewald, eingeweiht am 4. September 1993

Wer mehr über das Leben und Wirken von August Spieß erfahren möchte, dem empfehlen wir folgende Publikationen:

- August Spies, Ein hessischer Sozialrevolutionär in Amerika, Autor: Heinrich Nuhn, Verlag: Jenior & Pressler, ISBN: 3-928172-11-5,
- Hersfelder Zeitung, Beilage: „Mein Heimatland“, Band 58, November 2019, Autor: Albert Deiß

Auf diesem Wege möchte ich mich bei dem Heimatforschern Albert Deiß aus Ausbach und Frank Ißbrücker aus Pferdsdorf für die Unterstützung zu Erstellung des vorliegenden Beitrags bedanken.

Friedewald, Ruine Giesslingskirche

Quellen:

- oben genannte Buch-Publikation
- Gießener Zeitung
- Wikipedia
- Bayern 2 Kalenderblatt
- Osthessen News
- Hersfelder Zeitung, Beilage „Mein Heimatland“, November 2019, Band 58
- Privat-Archive von A. Deiss und F. Ißbrücker

Friedewald, Schloßareal mit Wasserburgruine