Großes Interesse am Leben im 500 Meter Sperrgebiet – Grenzerfahrungen in Wenigentaft

Gastbeitrag von Manuela Henkel

Über 100 Wanderfreunde kamen am Wochenende nach Wenigentaft, um bei einer geführten Wanderung entlang des Alten Ziegeleiweges mehr über das einstige Leben im 500 Meter Sperrgebiet zu erfahren.

Unter dem Motto „Grenzerfahrungen“ hatte dazu der CDU Ortsverband Geisaer Land eingeladen. Vorsitzende Manuela Henkel begrüßte die geschichtsinteressierten Wanderer am Alten Bahnhof des Ortes und hieß ganz besonders Bundestagsabgeordneten Christian Hirte sowie Wanderführer Karl Göllmann willkommen.

Letzterer stammt aus Wenigentaft, ist Jahrgang 1951 und erlebte von frühster Kindheit bis 1989 hautnah die Auswirkungen der einstigen innerdeutschen Grenze. Diese reichten ab 1952 von ständigen Kontrollen, Zwangsevakuierungen, Fluchten bis hin zu konkreten Einschränkungen, z.B. bei der Einreise in den Ort.

Dass die direkte Lage in der sogenannten „Zone“ für Wenigentaft auch wirtschaftliche Einschnitte bedeutete, berichtete Karl Göllmann am Startpunkt der Wanderung, dem Alten Bahnhof. Dieser war in der Rhön ein bedeutender Bahnhofsknoten.

„Hier haben 10 bis teilweise sogar 17 Leute gearbeitet“, erzählte Karl Göllmann den interessierten Wanderfreunden. Zu Rangierzwecken war dort auch immer eine Lokomotive stationiert, vor allen Dingen für die Transporte von Kali und Salz Richtung Hanau/Mainhafen.

Da ab 1952 die Amerikaner die Strecke von Vacha nach Philippsthal sperrten, gab es in Wenigentaft nur noch einen eingeschränkten Eisenbahnverkehr auf der Strecke von Unterbreizbach nach Motzlar. Das war dann auch das Ende der Geschichte des Bahnverkehrs für den Ort.

„1953 wurde die Strecke auf ostdeutscher Seite abgebaut und das Material zu Reparationszwecken nach Polen und Russland geschafft“, wusste Karl Göllmann zu berichten.

Ein ähnliches Schicksal erfuhr die ehemalige Dampfziegelei, die in der Spitze der Jahresproduktion vier Millionen Ziegel herstellte und überregional bekannt war.

Nach dem Krieg wurde die Ziegelei geschlossen. Da später Baustoffe wieder gebraucht wurden, nahm das das Werk ab 1956 mit teilweise bis zu 46 Angestellten die Arbeit wieder auf.

„Da es dort auch immer warmes Wasser gab, hat mir meine Mutter manchmal 50 Pfennig gegeben, damit ich dort samstags duschen konnte“, erinnert sich Karl Göllmann schmunzelnd.

Mit der Errichtung des Doppelzauns an der Grenze 1961, der direkt an der Ziegelei entlangführte, wurde diese endgültig geschlossen und später abgerissen. Auch die Familie von Karl Göllmann war von den direkten Einschränkungen der Privatwirtschaft betroffen.

Großvater Albert Deißenroth führte als Inhaber die Gaststätte „Hotel Weimarischer Hof“. Diese musste nach dem Krieg von 1945 bis 1956 schließen.

„Mit der Bedingung, dass sie Konsumgaststätte wird, konnte dann wieder geöffnet werden“, erinnerte sich Karl Göllmann. Die Wenigentäfter trafen sich zu DDR-Zeiten hier, um einmal in der Woche Skat oder Tischtennis zu spielen und die jährliche Kirmes dort zu feiern.

Während der Wanderung berichtete Karl Göllmann auch über das Arbeitsdienstlager, dass sich von 1935 bis Kriegsende zwischen Buttlar und Wenigentaft befand.

„Dort waren bis zu 400 Leute aus Deutschland und Österreich beschäftigt, um Feldwegebau oder die Begradigung der Ulster vorzunehmen“, so Göllmann. In der Kantine gab es des Öfteren sogar Sonntagskino, zu dem die Wenigentäfter hingingen, um Filme zu schauen und Kaffee zu trinken.

„Das war natürlich zu dieser Zeit etwas ganz Besonderes“, erzählte der Wanderführer den interessierten Gästen. Auch am Standort des ehemaligen Hauses Schuhmacher kamen die Wanderer vorbei.

Dieses war von einer Familie aus Essen errichtet worden, die vor den Bombardierungen nach Wenigentaft geflüchtet waren. Später wurde das Anwesen durch die direkte Grenzlage ebenso abgerissen.

Mit einem Blick auf die alten Tongruben und das Gestüt Mansbach sowie auf das Ulstertal ging die Wegeführung weiter zum Friedhof von Wenigentaft, der oberhalb des Ortes direkt am zweiten Signalzaun lag. Besonders emotional schilderte hier Ehefrau Irmgard Göllmann wie tragisch so manche Beerdigung verlief, wenn der Trauerzug sich in Richtung Friedhof bewegte.

„Auf der anderen Seite der Grenze standen dann die Verwandten aus dem Westen und winkten“, so Irmgard Göllmann. „Wir trauten uns nie wegen der Bewachung vom Grenzturm auch nur einen Blick nach drüben zu werfen.“

Wie tragisch musste es sein, wenn man von hessischer Seite aus wusste, hier wird ein verstorbener Angehöriger zu Grabe getragen und man konnte beim letzten Geleit nicht dabei sein. Eine spontane Geschichte lieferte Bernd Krämer aus Spahl an dieser Stelle.

Er erzählte wie er bei der damaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft gearbeitet hatte und die Arbeiter überhalb des Friedhofes auf einem Grundstück Kartoffeln lesen sollten.

„Dort musste uns immer jemand das Tor aufschließen, damit wir überhaupt auf den Acker kamen“, so Bernd Krämer. Bei den Arbeiten wurde man auch von den Posten überwacht.

„An einem Tag warteten wir Stunden vor dem Tor und niemand kam, um aufzuschließen“, erinnert sich Krämer. Nachdem man sich beschwert hatte, kam endlich der Bataillonskommandeur ohne Schlüssel und öffnete das Torschloss spontan mit einem Pistolenschuss.

Letzte Station der Wanderung war die Alte Buchenmühle, deren Ursprung bis in das 16. Jahrhundert reicht. Die innerdeutsche Grenze verlief mitten durch das Anwesen.

„Dort trafen sich die ersten Jahre immer noch die DDR-Grenzsoldaten und der Bundesgrenzschutz zum Kartenspielen und Biertrinken“, wusste Karl Göllmann zu berichten.

Auch Wenigentäfter kamen hier nachts zum Schmuggeln und Eintauschen von Schnaps, Zigaretten oder Strumpfhosen her. „Das wurde später aber dann unterbunden“, so Göllmann.

Das Auszughaus welches auf ostdeutscher Seite stand, wurde dann wegen der direkten Grenzlage in einer Nacht und Nebelaktion von den Pionieren der Nationalen Volksarmee abgerissen. Viele weitere solcher Grenzgeschichten gab Karl Göllmann an diesem Nachmittag noch zu Gehör.

„Wir haben mit der Grenze gelebt, wir haben es nicht anders gekannt und haben das Beste daraus gemacht“, sagte er nachdenklich.

Abschluss der Wanderung war am Dorfgemeinschaftshaus in Wenigentaft, wo zu einem Imbiss und geselligen Beisammensein eingeladen wurde.