Gastbeitrag von Wolfgang Weber
Die Welt blickt gespannt auf die 60sten Präsidentschaftswahlen in den USA! Zwischen polarisierenden Schlagzeilen und spaltender Rhetorik scheint die Demokratie im mächtigsten Land der Erde ins Wanken zu geraten.
Ob Kamala Harris oder Donald Trump – egal, wer das Duell ums Weiße Haus gewinnt – Europa mit Deutschland müssen sich unabhängig vom Ergebnis auf gravierende Veränderungen einstellen. Darüber waren sich in der Gedenkstätte Point Alpha die Diskutanten der Podiumsrunde „Die Wahl in den USA“ weitgehend einig.
Ins Haus auf der Grenze eingeladen hatte die Point Alpha Stiftung, deren Geschäftsführender Vorstand Benedikt Stock eingangs die Besucher begrüßte, darunter auch Christian Poloczek-Becher vom Kooperationspartner der Friedrich Naumann Stiftung.
Am 5. November 2024 wird in den USA zum 60. Mal ein Präsident und mit ihm das gesamte Repräsentantenhaus mit 435 Sitzen sowie ein Drittel des Senats gewählt.
Es kommt zu einem Showdown zwischen zwei sehr ungleichen Gegnern: Auf der einen Seite Trump, ein Milliardär und verurteilter Straftäter, gegen den noch weitere Strafprozesse laufen.
Auf der anderen Seite Harris, eine asisatisch-afroamerikanische Frau aus der Mittelschicht, die einst als Staatsanwältin auf der anderen Seite der Anklagebank stand.
„Der Wahlkampf erinnert an die Serie House of cards, wir hören von Attentaten, Lügen, gegessenen Katzen, erleben ausgetauschte Kandidaten. Sicherlich hat das zum Teil Unterhaltungscharakter, aber auch immense Auswirkungen“, diagnostizierte Jan Hollitzer, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen Zeitung, der die muntere Diskussion auf Point Alpha souverän leitete.
Ein breites Bündel den Wahlkampf prägender Themen richtete er an Dr. Thomas Greven (John F. Kennedy-Institut, FU Berlin), Dr. David Sirakov (Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz e.V.) und Prof. Dr. Philipp Gassert (Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Universität Mannheim).
„Biden war der letzte Transatlantiker, den wir gesehen haben“, mutmaßt Dr. David Sirakov. „Wie schon einige Präsidenten zuvor wird sich die USA nämlich auf den asiatisch-indopazifischen Raum konzentrieren mit dem Hauptwidersacher China.“
„Trumps Lieblingswort ist ‚Zölle‘, mit denen er schon in seiner ersten Amtszeit den Protektionismus forcierte“, ergänzt Dr. Thomas Greven. Mit Trump würde die deutsche Wirtschaft empfindlich getroffen werden, mit Harris käme Europa vermutlich glimpflicher davon.
Auch in der Sicherheitspolitik sehen die Diskutanten in NATO-Skeptiker Trump die größere Herausforderung. „Es wird nicht bei den Forderungen von zwei Prozent für die Verteidigung bleiben“, sieht Sirakov Ungemach auf die Bündnis-Partner zukommen.
Er erwarte eher 3 bis 3,5 Prozent. Auch die Präsenz der US-Armee auf deutschem Boden und der nukleare Sicherheitsschirm würden wieder einmal in Frage gestellt werden.
„Europa muss sich auf die Hinterbeine stellen und es wird richtig teuer auch für Deutschland, wenn die USA aus der Unterstützung für die Ukraine aussteigen“, meint Prof. Dr. Philipp Gassert.
Die politische und gesellschaftliche Polarisierung und Radikalisierung in den USA treten immer offener zu Tage. Nationale Tendenzen und der Trumpismus haben die Verhältnisse brutal verändert.
Fakten, Beweise und Argumente verlieren an Bedeutung, es gibt nur Angst und Wut, Sprüche statt Lösungen. Vor diesem Hintergrund scheint es möglich, dass sich die Situation infolge eines knappen Wahlausgangs noch zuspitzt. Sirakov fürchtet, dass es gar zu Gewalt komme.
„Die Verachtung des Gegners wird durch das System begünstigt, man kann nur staunen, dass Hass und Hetze nicht zur Disqualifikation von Kandidaten führt“, stellt Greven kopfschüttelnd fest und spricht den amerikanischen Strukturen auch gleich die Fähigkeit zur Reform ab.
„Wenn man die politische Meinung eines anderen nicht teilt, dann ist man relativ schnell an dem Punkt, wo der andere oder man sich selbst persönlich abgelehnt fühlt. Politik ist nicht mehr Lösungen für alltägliche Probleme zu finden, sondern Politik ist ‚wer wir sind‘. Und das bestärkt Populisten, was wir auch in Deutschland sehen.“
Die Härte und Tabubrüche werden von den Bürgern inzwischen in Kauf genommen. Die Wähler entscheiden interessenorientiert.
War es nur ein Witz oder Ernst: „In vier Jahren müsst ihr nicht mehr zur Wahl gehen“. Mit dieser Aussage warf Trump Fragen über seine Haltung zur Demokratie auf.
Kein Wunder, dass die Reaktionen darauf auch in der Gedenkstätte Point Alpha zu spüren sind, betont der wissenschaftliche Mitarbeiter Jan Ludwig Antoni.
„Wie, die Amerikaner haben die Demokratie hierher gebracht?“ Diese Fragen würden deutsche Schüler angesichts der Schlagenzeilen jenseits vom großen Teich bei den Führungen stellen.
Prägten in der Vergangenheit noch Slogans „Ick bin ein Berliner“ oder „Tear down these walls“ das Amerikabild in der deutschen Gesellschaft so sind es heute bei den Jüngeren die Stichworte 9/11, Afghanistan, Abu Ghuraib oder Guantanamo.
„Die amerikanische Demokratie, die in zwei Jahren ihren 250 Geburtstag feiert, hat Beständigkeit bewiesen“, ist sich Dr. Gassert trotz aller Turbulenzen sicher und sieht einen Untergang ganz gleich des Ausgangs der Wahlen nicht heraufziehen.
Dennoch ist die Point Alpha Stiftung im Rahmen ihrer Bildungsarbeit sowie die Gesellschaften insgesamt gefordert, ein klares Zeichen für Freiheit und Werte zu setzen. Hier gelte es wieder eine positivere Erzählung zu entwickeln, waren sich das Podium und das Publikum am Ende einig.