Gastbeitrag von Wolfgang Weber
Zwischen Atombegeisterung und No Future – es ist schier unglaublich, wie die Nukleartechnologie im Spielzimmer, auf der Leinwand, in Heften und Büchern oder in der Schule den Alltag von Kindern und Jugendliche geprägt hat.
Der Historiker Joachim Brenner entführte das Publikum zu einer Stippvisite in die „Atomare Kindheit“ in den west- und ostdeutschen Kinderzimmern. Eingeladen zu diesem informativen Vortrag im Haus auf der Grenze hatten die Point Alpha Stiftung und das Point Alpha Research Institut (PARI).
Zu Beginn des Kalten Krieges waren Protonen und Neutronen eng mit der Bombe sowie Tod und Vernichtung verknüpft. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik setzten nun alles daran, für dieses Material eine positive Erzählung für die zivile Nutzung zu finden.
Wirtschaftliche Prosperität, kostenlose Energie für Autos und Krankenhäuser, eine bessere Gesundheit und Ernährung oder das Atom für den Frieden: Vor allem jungen Menschen sollten die atomaren Vorzüge für eine bessere Zukunft nachhaltig und unbemerkt ins Bewusstsein gerückt werden.
„Das magische „Atomino“ wurde zum Beispiel in Comic-Heften mit atomaren Fähigkeiten zur heldenhaften Figur und zum treuen Begleiter der jungen Leserschaft.
In dem animierten Disney-Märchenfilm „Mein Freund, das Atom“ kam Dschinni diesmal als Geist mit atomaren Zauberkräften aus der Wunderlampe, der mit seinen Fans Abenteuer meisterte und die Welt in einen besseren Ort verwandelte. Und fortgesetzt wurde diese Geschichte sogar in einer Ausgabe von Mickey Mouse“, erklärte Brenner.
Die Produzenten zogen alle Register und griffen tief in die strategische, psychologische und pädagogische Trickkiste, um die nukleare Botschaft an das Kind zu bringen.
Angeregt wurde die Neugierde und die Fantasie in den getrennten deutschen Staaten auch mit Modellbausätzen für dampfende Atomkraftwerke. Was Loriot bei der „Weihnachtsfeier der Familie Hoppenstedt“ satirisch aufs Korn nahm, war längst Wirklichkeit geworden.
Auch Brettspiele und andere Spielzeuge lagen plötzlich in den Spielregalen. Die „technisch-nukleare Ausstrahlung“ verfing und die Industrie verdiente auch noch gutes Geld damit.
Mit der neuen Eiszeit im Ost-West-Konflikt und dem NATO-Doppelbeschluss zur Aufstellung von Atomraketen in Deutschland ging es dann auf den Spieltischen explosiver zu. Für die Schlacht im Fulda Gap im möglichen Dritten Weltkrieg kam eine spielerische Simulation durch ein Brettspiel auf den Markt.
„Bummm“ – um zu gewinnen, mussten Kinder vermeintlich Atombomben auch in der Rhön und Osthessen detonieren lassen. „Nicht nur die Waffen im Kinderzimmer waren nun Anlass für heftige Proteste“, blickte der Historiker zurück.
Während die osthessische Friedensbewegung für Abrüstung auf die Straße ging, prangerte die Redakteurin Marie-Luise Rieger in der Fuldaer Zeitung den „Alptraum in den Kinderzimmern“ öffentlich an.
Mit den sichtbaren Folgen der Katastrophe in Tschernobyl war das Atom im Kinderzimmer schließlich vollends verbrannt. Beschleunigt wurde der radikale Wandel durch die Veröffentlichung des Buches „Die Wolke“.
In dem prämierten Jugendroman beschreibt die Autorin Gudrun Pausewang aus Schlitz das fiktive Schicksal der 14-jährigen Janna-Berta, die durch einen Reaktorunfall zu einem Strahlenopfer wird.
Eingeführt ins Thema und begrüßte hatte die Gäste eingangs Philipp Metzler, Vorstand der Point Alpha Stiftung. Dabei ging ein Dank an den Kooperationspartner das Point Alpha Research Institut (PARI) und dessen Geschäftsführerin Vivian Seidel, die die Forschungseinrichtung für eine neue Aufgabe verlassen wird und dafür die besten Wünsche mit auf den Weg bekam.