Von der Krim bis Washington: Wie sich der Ukraine-Krieg auf die Weltordnung auswirkt

Gastbeitrag von Wolfgang Weber
(Point Alpha Stiftung)

Es kommt gerade viel ins Rollen im Ukraine-Krieg, vor allem politisch. Trump bezeichnet den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als Diktator. Die Ukraine sei verantwortlich für den Krieg.

„Das macht einen wirklich fassungslos. Mit diesen Vorwürfen übernimmt der US-Präsident die Narrative von Russland, die jeder Grundlage entbehren“, sagt Rainer Meyer zum Felde in der Gedenkstätte Point Alpha.

Der Brigadegeneral a.D. und Senior Fellow im Institut für Sicherheitspolitik Kiel (ISPK) bewertete in einem umfassenden Vortrag die militärische Lage im Kampfgebiet, die atlantische Zeitenwende sowie mögliche Konsequenzen für NATO, Deutschland und Europa.

Eine Einführung zur Geschichte der Ukraine erhielten die rund 140 interessierten Zuschauer im Haus auf der Grenze von Philipp Metzler, Vorstand und Studienleiter der Point Alpha Stiftung.

Der Krieg in der Ukraine, ausgelöst vor genau drei Jahren durch die russische Invasion, stellt eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart dar.

„Putins Armee rücke ohne Rücksicht auf Verluste Meter für Meter vor.“ Ausfälle würden durch die Umstellung des Landes auf Kriegswirtschaft zügig kompensiert. Die Ukraine verteidige sich unerwartet tapfer, könne aber weniger nachlegen. Die Mobilmachung gerät ins Stocken und die Reserven an Munition und Material neigen sich dem Ende zu.

„Putin muss am Dnepr gestoppt werden und nicht erst an der Weichsel oder gar an der Oder. Das Raubtier entwickelt mit dem Fressen mehr Appetit. Putin hat auch Moldau, Georgien, das Baltikum, Bulgarien und Polen im Blick, um die Größe des alten Zarenreiches oder der Sowjetunion Wirklichkeit werden zu lassen.“

Meyer vom Felde zeichnete insgesamt ein eher düsteres Bild und erläuterte dabei die Zusammenhänge mit anderen geopolitischen Krisenherden auf dem Globus, bei denen die anti-westliche Allianz mit China, Iran, Nordkorea und eben Russland die Welt in Atem hält.

Die Notwendigkeit grundlegender Korrekturen sieht der Referent nicht nur bei der NATO, sondern vor allem für Deutschland selbst. Drei Hauptfehler gelte es abzustellen: das Outsourcing der Sicherheit an die USA, die Abhängigkeit der Energieversorgung von Russland und die Ausrichtung der Industrie- und Handelsbeziehung auf China.

Einige Kernpunkte sind für Meyer vom Felde dabei entscheidend: Deutschland muss die angestammte Rolle als Rückgrat der konventionellen NATO-Abschreckungs- und Bündnisverteidigung übernehmen, an Europas Peripherie und weltweit aber weiterhin substanziell zu Krisenmanagement fähig bleiben.

„Wir müssen aber atlantisch bleiben, trotz des momentanen Schockzustandes, die USA bleiben wichtigster Verbündeter. Nach nun beinahe 80 Jahren guter Freundschaft geht man nicht auf Distanz.“

Der ehemalige Brigadegeneral, der auch Landesvorsitzender der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) Niedersachsen und Bremen ist, spannte einen informativen Bogen von den Versäumnissen europäischer und deutscher Politik in der Vergangenheit bis zu Handlungsvorschlägen im Umgang mit der Trump-Administration.

Speziell für Deutschland sei die Zeit des Wegduckens, Raushaltens und Delegierens vorbei. Im Haus auf der Grenze forderte Meyer zum Felde die Herstellung von Verteidigungs- und Kriegstüchtigkeit von Bundeswehr, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bis spätestens 2029.

Revidieren müsse man die Wehrstruktur, dafür sei die Einführung der Wehrpflicht in einer modifizierten Form unverzichtbar. Bei der Zahl der Soldaten muss seiner Meinung nach das Soll mit 205.000 das Ziel sein, eine Reserve müsste mindestens 500.000 Personen stark sein.

Den Etat dafür veranschlagt der Brigadegeneral a.D. zwischen 90 bis 140 Milliarden Euro jährlich.

„Im Interesse Deutschlands müssen wir Verteidigung von der Pike auf lernen, das beinhalte auch regelmäßige Übungen auch im Zusammenspiel mit der Bevölkerung im Abstand von zwei Jahren.“

Zur Einführung in die Thematik hatte Philipp Metzler zunächst den Blick auf die historischen Wurzeln des Konflikts gerichtet.

Der Historiker beleuchtete die Spannungen, kulturelle Unterschiede und historische Verwerfungen, die das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine prägten.

Die Ukraine habe als Grenzland zu größeren und mächtigeren Staaten, in ihrer langen Geschichte unter verschiedensten Einflüssen gestanden. Angefangen von den Wikingern und Mongolen über die Besetzung durch das Königreich Polen-Litauen bis hin zur Übernahme durch die UdSSR. Trotz langer Kämpfe gab es nur kurze Phasen der Unabhängigkeit.

Für die Selbständigkeit in 1991 verzichtet die drittgrößte Atommacht der Welt auf ihre Nuklearwaffen. In zahlreichen Abkommen und Verträgen wurden Freundschaft und Frieden mit Russland und Belarus, die staatliche Souveränität und die Grenzen dokumentiert – bis zum Jahr 2014 als Russland die Krim annektierte und das Unheil seinen Lauf nahm.

Im Anschluss beantworteten die Referenten noch eine Vielzahl an Fragen aus dem Publikum, es wurde auch kontrovers diskutiert.

Kooperationspartner der Veranstaltung war die Konrad-Adenauer-Stiftung Thüringen, bei der sich Benedikt Stock, Geschäftsführender Vorstand der Point Alpha Stiftung, stellvertretend bei der Tagungsleiterin Michelle Rödel für die Unterstützung bedankte.

Im Haus auf der Grenze (von rechts): Michelle Rödel (Konrad-Adenauer-Stiftung Thüringen), Brigadegeneral a.D. Rainer Meyer zum Felde, Philipp Metzler (Vorstand und Studienleiter Point Alpha Stiftung) und Benedikt Stock (Geschäftsführender Vorstand Point Alpha Stiftung).