Gastbeitrag von Tim Keller
Die Einführung der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990 war weit mehr als eine einzelne ökonomische Entscheidung – sie markierte den Übergang von der Teilung zur Einheit, von der Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft.
35 Jahre später widmete die Point Alpha Stiftung diesem historischen Datum eine Abendveranstaltung im Haus auf der Grenze.
Zu Gast war Dr. Annabelle Petschow vom Haus der Geschichte in Bonn, die in einem detailreichen Vortrag die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Dimension der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion darstellte.
In eindringlichen Worten schilderte Petschow, wie die DDR im Jahr 1990 an einem Wendepunkt stand: Die wirtschaftliche Lage war dramatisch, das Land hoch verschuldet, die Industrie veraltet, die Versorgungslage angespannt.
Viele verließen die DDR – meist die gut ausgebildeten und jungen Menschen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich der Ruf nach der Einführung der D-Mark zum zentralen gesellschaftlichen Anliegen. Die westdeutsche Währung stand für Stabilität, Versorgungssicherheit und Zukunft.
Doch die Einführung der D-Mark war nicht das Ergebnis wirtschaftlicher Rationalität – darin sind sich viele Ökonomen einig. Sie war eine politische Entscheidung unter außergewöhnlichem Druck.
„Man kann sicherlich sagen, dass sich die Bundesregierung zur Währungsunion nicht aus wirtschaftlicher Überzeugung entschließt, sondern aus politischer Notwendigkeit“, so Petschow.
Die rasante Abwanderung aus der DDR, die unsichere weltpolitische Lage und nicht zuletzt die Präsenz von rund 500.000 sowjetischen Soldaten in der DDR verstärkten das Gefühl eines historischen, aber womöglich kurzen Zeitfensters.
Parallel liefen die Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die außenpolitischen Rahmenbedingungen für die Wiedervereinigung schaffen sollte.
Vor diesem geopolitischen Hintergrund entschloss sich die Bundesregierung – auch auf Drängen aus der DDR – zur Währungsunion mit hohem Tempo. Schon am 7. Februar 1990 unterbreitete die Bundesrepublik einen ersten Vorschlag.
Eine gemeinsame Expertenkommission erarbeitete das technische Fundament. Die Bevölkerung der DDR war dabei keineswegs nur Zuschauerin. Im März 1990 wählten die Bürgerinnen und Bürger in freier Wahl eine neue Volkskammer.
Der klare Sieg der Allianz für Deutschland, getragen von CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch, war ein politisches Mandat für eine schnelle deutsche Einheit – mit der Währungsunion und dem Wechselkurs von 1:1 bei Löhnen und Renten als Kernforderung.
„Der Blick zurück ist ein Blick des Zorns, der Blick nach vorn ist der der Zuversicht und Hoffnung“, zitierte Dr. Petschow den letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière.
Mit der Währungsunion kam es tatsächlich zu einem Konsumschub – aber auch zu tiefgreifenden sozialen Einschnitten.
Die Treuhandanstalt sollte das volkseigene Vermögen zunächst treuhänderisch verwalten, doch im Sommer 1990 änderte sich der Auftrag, als absehbar war, dass ein System mit 16 Millionen Anteilseignern nicht machbar war.
Die Treuhand hatte nun die Aufgabe rund 8.000 Betriebe zu reorganisieren oder zu privatisieren, von denen rund ein Drittel bereits vorab als nicht wettbewerbsfähig eingestuft wurden.
Betriebsschließungen und Privatisierungen führten zu Massenentlassungen, Verlust von Status und neuen sozialen Unsicherheiten. Viele Menschen fühlten sich übergangen.
Der Transformationsprozess wurde von Enttäuschungen, Strukturbrüchen und dem Gefühl der Fremdbestimmung begleitet – ein Thema, das in gesellschaftlichen Debatten bis heute nachhallt.
Gleichzeitig entstanden neue Chancen: Reisen, unternehmerische Freiheit, politische Mitbestimmung. Petschow erinnerte an Menschen wie Petra Hoyer, die nach dem Mauerfall eine eigene Firma gründete und das wirtschaftliche Neuland mutig betrat. Ihr Beispiel stehe für den Aufbruch vieler Ostdeutscher, die das neue System aktiv mitgestalten wollten.
Dr. Petschows Vortrag war nicht nur eine Analyse der damaligen Lage, sondern auch ein Plädoyer für eine differenzierte Erinnerung: Die Friedliche Revolution und die Transformation Ostdeutschlands seien eine doppelte Herausforderung gewesen – für Individuen wie für die Gesellschaft als Ganzes. Bis heute bleibe die Deutungshoheit über diesen Wandel umkämpft.
Die Point Alpha Stiftung dankt Frau Dr. Petschow herzlich für ihren spannenden und aufschlussreichen Vortrag sowie der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung für die freundliche Unterstützung.
Der vollständige Vortrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist als Video auf dem YouTube-Kanal der Point Alpha Stiftung verfügbar.