Lebensadern im Wandel: Wie unsere Rhöner Bäche & Flüsse wieder atmen lernen

Gastbeitrag von Lea Hohmann

Libellen tanzen über dem Wasser, Forellen huschen entlang der Kieselsteine am Bachgrund, der Eisvogel ist auf Nahrungssuche an mäandernden Gewässern. Einst ein vertrauter Anblick, doch heute sieht es vielerorts anders aus.

Unsere Bäche und Flüsse – die Lebensadern der Rhön – sind vielfach begradigt, verschmutzt und ausgebremst von Barrieren. Der natürliche Fluss, einst Sinnbild für Leben und Wandel, ist vielerorts zum stehenden Gewässer geworden.

Unsere Gewässer – unsere Verantwortung

Aber nur intakte Bäche und Flüsse können das leisten, was wir dringend brauchen: Wasser in der Landschaft halten, Artenvielfalt bewahren, Dürrephasen abfedern und Überschwemmungen mildern.

Dies sind wichtige Voraussetzungen für die Anpassung an die Herausforderungen des Klimawandels.

„Ein frei fließender, gesunder Fluss ist ein dynamisches Ökosystem – er darf sich schlängeln, über die Ufer treten und sich selbst reinigen“, sagt Lisa Knur, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Anpassung an den Klimawandel im bayerischen Teil des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön.

„Flüsse und Bäche verbinden verschiedene Lebensräume und schaffen ein Zuhause für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Bei Hochwasser helfen naturnahe Auen und landwirtschaftlich genutztes Grünland, das zeitweise überflutet werden darf, den Abfluss zu regulieren.“

Trotz mancherorts erfolgreich und freiwillig umgesetzter Maßnahmen zum Gewässerschutz gibt es auch bei uns noch immer viel zu tun. Vier von fünf Fließgewässern verfehlen in Bayern den von der EU geforderten ‚guten ökologischen Zustand‘.

Sie bieten typischen und spezialisierten Bach- und Flussbewohnern wie Fischen, wirbellosen Kleintieren am Gewässergrund, Wasserpflanzen oder Algen kaum mehr geeignete Lebensräume.

Barrieren abbauen – Lebensräume schaffen

Zu den Defiziten zählt auch die gestiegene Wassertemperatur vieler Fließgewässer: Trockene Sommer und Entnahmen für die Bewässerung reduzieren unter anderem den Wasserpegel. Je flacher ein Gewässer, desto stärker erwärmt es sich.

Umso mehr, wenn schattenspendender Uferbewuchs fehlt. Im warmen Wasser kann sich jedoch Sauerstoff als Grundlage für das Leben im Wasser schlechter lösen, sauerstoffarme Gewässer verlieren ihre Fähigkeit zur Selbstreinigung.

Einträge aus Kläranlagen und angrenzenden Landwirtschaftsflächen sorgen für weitere Belastungen. Der Stresspegel der Bach- und Flussbewohner steigt.

Je ungünstiger die Bedingungen, desto mehr müssen insbesondere kälteliebende Tierarten mit hohem Sauerstoffbedarf wie Bachforelle oder Äsche in kühlere Oberläufe ausweichen können.

Doch leider heißt es vielerorts: Stopp, hier geht es nicht weiter. Wehre, Schwellen oder Verrohrungen wirken als Hindernisse und blockieren oder stauen den Flusslauf. In Bayern gibt es rund 57.000 solcher Querbauwerke, darunter etwa 6.600 Wehre.

Nur vier Prozent der Wehre sind derzeit für Fische und andere Lebewesen passierbar. Sie behindern außerdem den Sedimenttransport, der essentiell ist für ein gesundes Flussbett – die Kinderstube der Wasserbewohner.

Auch wenn mit alten Wehren Erinnerungen und Identität verbunden sind, sie das Dorfbild prägten und einst als Zeichen von Fortschritt galten – vieles hat sich verändert.

Zahlreiche Wehre werden heute nicht mehr gebraucht. Ganze 907 sind laut Bayerischem Landesamt für Umwelt sogar baufällig und stellen ein Sicherheitsrisiko dar.

„Der Rückbau unnötiger Querbauwerke ist ein zentraler Schritt, um unsere Gewässer wieder ins Gleichgewicht zu bringen“, fasst Anne-Kathrin Jackel, Projekt ‚Auf zu lebenswerten Bächen‘ der Regierung Unterfranken, zusammen.

Rückbau bedeutet:

  • Fische und andere Wasserbewohner können sich in Bächen und Flüssen wieder frei bewegen.
  • Lebensräume für bedrohte Arten wie Bachforelle oder Flussperlmuschel werden zurückgewonnen.
  • Kühle, beschattete Rückzugsräume sind wieder erreichbar.
  • Naturnahe Flüsse puffern Hochwasser besser ab.
  • Flussbetten werden wieder lebendig und Kinderstube für viele Arten.
  • Insgesamt nimmt die Biodiversität, Klimaanpassung und Lebensqualität deutlich zu.
  • Kultur erhalten, Natur stärken

Simon Engel vom Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen betont: „Dort, wo Wehre weiterhin gebraucht werden – etwa zur Stromgewinnung –, sorgen Fischaufstiegsanlagen oder Umgehungsgewässer dafür, dass Tiere dennoch wandern können.

Es geht nicht um ein ‚entweder – oder‘, sondern um ein ‚sowohl – als auch‘: Kultur bewahren und gleichzeitig die natürliche Lebensvielfalt wiederherstellen.“

Schon heute wird in der Rhön und ganz Unterfranken viel bewegt. Verschiedene Rückbauprojekte wurden bereits umgesetzt – mit Erfolg.

Aber die Zeit läuft: Bis spätestens 2027 müssen laut Europäischer Wasserrahmenrichtlinie alle Flüsse in einen guten Zustand gebracht werden. Bayern hat sich dazu verpflichtet, und wir alle können dazu beitragen.

Denn am Ende geht es nicht nur um Fische und Pflanzen. Es geht um unsere Heimat. Um das Wasser, das wir trinken. Um die Landschaft, die wir weitergeben wollen. Wo Bäche und Flüsse wieder frei fließen dürfen, kehrt Leben und Artenvielfalt zurück.

Die Projekte ‚Auf zu lebenswerten Bächen‘ und ‚Fluss.Frei.Raum‘ unterstützen viele dieser Maßnahmen gemeinsam mit Gemeinden, der Wasserwirtschaft, der Land- und Forstwirtschaft, dem Naturschutz sowie freiwilligen Helferinnen und Helfern.

Unter www.lebensbaeche-unterfranken.de und www.fluss-frei-raum.org erfahren Sie mehr über aktuelle Projekte und wie Sie sich engagieren können.