Gastbeitrag von Siegfried Hartmann („Itzi“)
Eine wahre Begebenheit aus Kaltenwestheim, anno 1719
Es gibt Tage, an denen sich das Schicksal wie ein Schatten über die friedlichen Höhen der Rhön legt. Einer dieser Tage war der 21. Mai 1719 – ein Sonntag, der in Kaltenwestheim und Umgebung nicht vergessen wurde.
Der Überfall
Oben am kleinen Hoffler hatten sich fremde Gestalten niedergelassen: Zigeuner, wie man sie damals nannte, gefürchtet und gemieden. Schon länger hatte man sie in den Wäldern umherstreifen sehen, doch nun trieben sie es schlimmer: Viehdiebstähle, Drohungen, ein unruhiges Treiben.
An jenem Tag ritt Oberförster Johann Martin Roth, zuständig für das Amt Kaltennordheim und Lichtenberg, mit einem Jagdburschen durch die Birken. Nichts ahnend, dass er geradewegs in die Falle geriet.
Plötzlich krachte es. Neun Schüsse zugleich – aus dem Hinterhalt, von allen Seiten. Kugeln zischten durch die Bäume, und Roth wurde schwer getroffen. Blutdurchtränkt sank er vom Pferd, kämpfte um sein Leben.
Verzweifelte Hilfe
Von den nahen Weiden eilten Hirten und Bauern herbei. Entsetzen griff um sich, doch ein junger Kaltenwestheimer fasste Mut: „Wenn doch jetzt unser Pfarrer da wäre!“ rief er und rannte, so schnell ihn die Beine trugen, ins Dorf.
Wenig später erschien der Pfarrer selbst, zu Pferd. Man fand den Oberförster in einer Dornhecke, kaum bei Sinnen.
Mit starken Buchenzweigen und groben Seilen wurde eine Tragbahre gezimmert, auf der man ihn mühsam den Hang hinabtrug – hinunter in den Pfarrhof von Kaltenwestheim.
Dort eilten die Amtsherren herbei, brachten Chirurgus und Doktor. Man holte Tannharz, verband die Wunden, ließ kein Mittel unversucht. Aber es war vergebens.
Der letzte Abschied
Zwei Tage rang Johann Martin Roth mit dem Tod. Seine Frau stand an seinem Bett, die Kinder weinten, Freunde und Nachbarn hielten Wache. Schließlich erlöste ihn der Tod nach schwerem Leiden.
Sein Ende war tragisch – und doch von Glaubensstärke getragen. In der Kirche von Erbenhausen setzte man ihm ein Denkmal: ein Steinbildnis, das ihn in Uniform mit erhobener Hand zeigt, wie er einst die Kirchgänger grüßte.
Darunter die Worte, die sein Vermächtnis bewahren:
„Die Wunderhand des Herrn hat mich zwar sehr gerührt,
Doch seine Gnadenhand hat mich wohl kaum geführt.
Drum sollst du mein Valet auf diesem Steine lesen.
Es ist des Herren Will, mein Will also gewesen.“
Nachklang
Noch heute erzählt man sich, dass der Wind über den Höhen bei Kaltenwestheim manchmal das ferne Schnauben eines Pferdes trägt. Dann sagen die Alten: „Der Oberförster Roth reitet wieder – auf seiner letzten Jagd.“