Besondere Lesewanderung – Gänsehaut & Tränen auf der Schanz

Gastbeitrag von Eberhard Schellenberger

Für die 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer ausgebuchten „Lesewanderung“ rund um den ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen-Meiningen war es ein besonderer 35. Tag der Deutschen Einheit.

Der ehemalige Würzburger BR-Journalist Eberhard Schellenberger las auf der sechs Kilometer langen Strecke aus seinem Buch „Deckname Antenne“. Dazu gab es Originaltöne aus dem BR-Archiv rund um Stasiüberwachung, Mauerfall und Wiedervereinigung.

Start war in der Grenzanlagenausstellung auf der Schanz. Erlebnisse rund um intensive Grenzkontrollen und Schikanen ließen eine düstere Zeit an der deutsch-deutschen Grenze noch einmal lebendig werden.

Dann ging es auf den sogenannten „Friedensweg“, vorbei am ehemaligen Beobachtungspunkt der US- Army, kundig begleitet durch Wanderführer Christian Trabert.

Er hatte die Idee zu dieser besonderen Wanderung, unterstützt durch das Biosphärenreservat Rhön und den Landesbeauftragten Thüringen zur Aufarbeitung der SED- Diktatur. Die Lesung unterwegs war auch Teil einer Veranstaltungsreihe, die das Bestreben unterstützt das „Grüne Band“ als ehemalige Grenze zum Weltkulturerbe zu machen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Wanderung kamen aus Bayern, Thüringen und Hessen. Darunter ehemalige Bundesgrenzschutzbeamte und Zöllner, aber auch ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee.

Erinnerungskultur auf dem Dachsberg

Auch Bürgermeister Christoph Friedrich aus der Gemeinde Rhönblick hatte sich angeschlossen. Ihm liegt die Erinnerungskultur in seiner Südthüringer Heimat besonders am Herzen.

Nach Wende und Mauerfall geboren will er vor allem auch für die nachgeborenen Generationen die Geschichte vor und nach dem Mauerfall aufarbeiten und bewahren. So hat die Gemeinde den ehemaligen Beobachtungsturm auf dem Dachsberg bei Hermannsfeld gekauft.

Hier war Mittagsrast der Lesewanderung. „Frieden sein der Welt beschieden“ steht auf dem großen Friedenskreuz.

Angelika Hoyer berichtete mit viel spürbarem Herzblut, dass dieser Beobachtungsturm ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Erinnerung und Mahnung ist. Sie sammelt auch Erinnerungsberichte beim Besuch ehemaliger Grenzsoldaten an diesem Turm.

Die Lesewanderung steuerte dann wieder das Gebiet der ehemaligen Grenzanlagen auf der Schanz an. Hier gab es Originaltöne und berichte von der Nacht des Mauerfalls.

Eberhard Schellenberger präsentierte auch eine der letzten DDR- Fahnen des Grenzübergangs. Diese hatte ein DDR- Grenzer dem Würzburger Bernd Höland kurz vor dem 3. Oktober 1990 geschenkt.

Emotionale Reportage

Dann wurde es still auf dem Plateau neben der sogenannten „Goldenen Brücke“, die der aus Niederlauer stammende Künstler Jimmy Fell zusammen mit einem Skulpturenpark in den letzten Jahrzehnten errichtet hat.

Zu hören war noch einmal Eberhard Schellenbergers emotionale Livereportage aus der Nacht der Wiedervereinigung. Gesendet an gleicher Stelle vor genau 35 Jahren.

Als das Deutschlandlied in der Reportage erklang, gesungen von tausenden ergriffenen Menschen, gab es bei so manchem Teilnehmenden Tränen und Gänsehaut.

Eberhard Schellenberger zitierte die junge BR- Reporterin Sarah Beham, die im Mai letzten Jahres in Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw war.

„Hier gibt es das größte Rehazentrum und da kommen die meisten Kriegsverletzten von der Front hin. Eine ganze Generation Männer zu sehen verstümmelt, mit amputierten Armen oder Beinen, das macht was mit Einem, das war hart anzuschauen und auch als Journalistin bin ich nur ein Mensch.

Mikrofon und Handy, ich filme, und dann schießen einem die Tränen in die Augen, weil man auch nur Mensch ist.“

Und Schellenberger schrieb zurück: „Die Auswirkungen eines furchtbaren Krieges, die du da in Lwiw gesehen hast, das hätte uns vor 35 Jahren auch drohen können. Dann wären vielleicht dein Papa und ich, und viele andere aus unserer Generation in einen 3. Weltkrieg gezogen. Ja, liebe Sarah, ich habe Demut und Dankbarkeit.“

Und dann war es ganz still unter den vielen Menschen am ehemaligen Grenzübergang. Ein besonderer Moment.

Eine außergewöhnliche Wanderung ging nach fünf Stunden zu Ende und eine Teilnehmerin resümierte: „Danke für die Impulse, die Erinnerungen, den Austausch bei so wunderbarem Wetter. Was für ein Tag.“