Heimat – Mehr als ein Ort, eine Zeit & ein Gefühl beim Geisaer Schlossgespräch

Gastbeitrag von Wolfgang Weber

Der Heimatbegriff wird heute kontrovers diskutiert. Eine konservative Auffassung sieht Heimat als feste, unveränderliche Kultur. Dem gegenüber steht ein Verständnis von Heimat als Gefühl von Vertrautheit und Kontinuität der Veränderung.

Das 14. Geisaer Schlossgespräch widmete sich den Fragen, was Heimat ist, wie sie entsteht und welche Bedeutung sie für ein Land, eine Region und den Einzelnen haben kann? Interessante Einsichten und Perspektiven lieferten Prof. Dr. Claudia Neu und der Schriftsteller Andreas Maier auf dem Podium in der Point Alpha Akademie.

Ist Heimat ein Ort, eine Zeit oder ein Gefühl? Das Thema berührt unser Innerstes.

Gleichzeitig mischen auch Staat, Gesellschaft und Politik kräftig bei der Definition mit, welcher Inhalt in der Heimat steckt und wer sich in Deutschland heimisch fühlen darf.

Gefühlsschlüsselwort, Reizwort oder gar Kampfbegriff – Heimat sei eine komplexe Vokabel, zu der es unendlich viele Erklärungen, wissenschaftliche und sogar juristische Abhandlungen gebe, stellte der Moderator Eric Marr einleitend fest.

In der Regel beschreibe Heimat eine tiefe Bindung zu einem Ort, einer Region, zu Menschen oder auch Gefühlen, erläuterte der freie Journalist aus Zella-Mehlis dem Publikum im Gangolfisaal.

Die Renaissance von ‚Heimat‘ ist für Prof. Dr. Claudia Neu ganz sicher ein Gegentrend zu Globalisierung und Krisen. Neu leitet den Lehrstuhl Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel.

Dort forscht sie unter anderem zu bürgerschaftlichem Engagement und zum Wert gleicher Lebensverhältnisse oder „sozialen Orten“.

Neu selbst hatte in ihrer Jugend ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Umgebung, eine ausgeräumte Gegend im Rurgebiet bei Aachen, wo durch den Kohleabbau alles schwarz war, und man früh hoffte, sein Glück woanders zu finden.

„Für die Menschen scheint Deutschland unterzugehen, deshalb ziehen sie sich zurück, machen sich es dort gemütlich, wo alles in Ordnung ist und sie die Kontrolle haben. Hier finden sie den Halt, wenn sie sich abgehängt fühlen oder das Vertrauen in Europa oder die Institutionen verloren haben.“

Auch Andreas Maier, der mit seinem autofiktionalen Romanzyklus „Ortsumgehung“ zu den gefragten deutschen Schriftstellern der Gegenwart gehört und für seine Literatur mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, verstehe, was Heimat für die Leute bedeute.

„In unserer Familie in Friedberg ist das Wort allerdings nicht im aktiven Sprachgebrauch genutzt worden“, erinnert sich der Autor.

Später habe er aber erkannt, dass alles, was er unter ‚Wetterau‘ subsumiere, auch in dem Ausdruck „Heimat“ stecke.

Der Heimatbegriff hat im gesellschaftlichen Diskurs in den letzten Jahren neue Bedeutungsebenen hinzugewonnen. Darin war sich das Podium einig, warnte aber auch vor einer überzogenen und überhitzten Debatte und Missbrauch.

In Zeiten, in denen Populisten eine immer engere Beschreibung von Heimat propagieren, nahm die Runde auch die Vielfältigkeit von Erfahrungen und die Unschärfen des Begriffs in den Blick. „Mit der Heimat sind mächtige Bilder verbunden“, machte Neu deutlich, „die Parteien haben dort eine Lücke gelassen und die AfD hat sich das Wort gekrallt, um nun mit Metaerzählungen Ängste zu befeuern.“

Das intensive Gespräch der Protagonisten untereinander und später auch der Austausch mit den Zuschauern spannte zudem einen Bogen über die Bedeutung von Herkunft, Milieu, Identität, Verbundenheit und Werten über den Stadt-Land-Gegensatz sowie über die Suche nach Zugehörigkeit für die Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg oder für die ostdeutschen Bürger nach dem Zusammenbruch der DDR.

Auf die Tradition, den Wert und die Bedeutung des 14. Geisaer Schlossgespräches hatte eingangs Benedikt Stock hingewiesen.

In seiner Begrüßung dankte der Geschäftsführende Vorstand der Point Alpha Stiftung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) mit ihrer Direktorin Franziska Kiermeier und der Landeszentrale für politische Bildung (LZT) mit der Leiterin Dr. Franziska Wittau für die harmonische Kooperation bei der Organisation der Veranstaltung.

Über die Chancen, die eine Auseinandersetzung mit Heimat für alle haben kann, sprach schließlich Dr. Franziska Wittau zum Abschluss im Namen der Veranstalter. „Heimat ist eine vielschichtige Idee, verbunden mit Erinnerungen, auch eine Idee von Lebensentwürfen, ein Ort der Geborgenheit.

Es ist mehr als was wir geografisch und räumlich verorten, ständig im Wandel, ein Gefühl, etwas mit Nähe und Distanz und im positiven Sinn auch von Grenzen.“ Sie forderte dazu auf, gemeinschaftlich immer wieder über ‚Heimat‘ zu reflektieren, ohne andere dabei auszugrenzen.

Gäste und Gastgeber des 14. Geiser Schlossgespräches (von links) Benedikt Stock (Geschäftsführender Vorstand Point Alpha Stiftung), Eric Marr (Moderator), Prof. Dr. Claudia Neu (Universitäten Göttingen und Kassel), Franziska Wittau (Direktorin Landeszentrale politische Bildung Thüringen), Franziska Kiermeier (Direktorin Hessische Landeszentrale für politische Bildung) und Andreas Maier (Schriftsteller).