Das vermeintliche Ende des Kalten Krieges bedeutete nicht gleichsam das Ende der Gewalt. Sie bleibt bestehen und nimmt neue Formen und Gestalten an.
In seinem Vortrag „70 Jahre Bundeswehr – 35 Jahre Armee der Einheit“ spannte Dr. Philip Martin Rink in der Gedenkstätte Point Alpha einen großen Bogen von der Gründung der Bundeswehr, der Genese des Kalten Krieges, der Auflösung der Nationalen Volksarmee der DDR bis zu den völlig veränderten Herausforderungen für das Militär in der heutigen Zeit.
Begrüßt wurden die Zuschauer und der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr sowie Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr München eingangs vom Geschäftsführenden Vorstand der Point Alpha Stiftung, Benedikt Stock.
„Mit 101 Personen – noch ohne Uniform und Waffen – wurde am 12. November 1955 die Bundeswehr gegründet“, erzählte der in Potsdam lebende Referent dem Publikum im Haus auf der Grenze.
Der Beginn einer wechselvollen Geschichte, die für den Historiker weniger in die militärische als vielmehr in die politische Dimension der Systemkonfrontation führte.
Rink erläuterte die Statik des Ost-West-Konflikts auf dem politischen wie gesellschaftlichen Spielfeld. Die Bundeswehr auf der einen Seite und die NVA auf der anderen seien durch die Gegensätze der Kulturen und Ansichten geprägt worden. Vereinfacht ausgedrückt: der Staatsbürger in Uniform im Westen gegen die kommunistische Indoktrinierung im Osten.
Rink nahm in diesem Zusammenhang die nukleare Abschreckung und konventionelle Verteidigung, Struktur und Organisation der Verbünde in den Blick.
„Es ist schon paradox“, sagte er, „man entwickelt ein planerisches Bild der Verwüstung, damit dieses nicht eintritt.“ Dabei sparte er auch nicht an Kritik am Verhältnis innerhalb der Streitkräfte zwischen Luftwaffe, Heer und Marine.
Fast 40 Jahre lang standen sie sich auch zwischen dem Landkreis Fulda und dem Geisaer Amt hochgerüstet als Feinde gegenüber: Die Nationale Volksarmee und die Bundeswehr.
Über Nacht waren sie plötzlich eins. Den Klassenfeind gab es nicht mehr. Aus zwei Armee wurde eine Truppe. Ein in der jüngeren Geschichte einmaliger Vorgang.
Rink schilderte auf Point Alpha kurz die Herausforderungen der Integration und die Folgen dieses komplexen Übergangsprozesses.
Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 hatte Rainer Eppelmann, Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, seinem Amtskollegen Gerhard Stoltenberg offiziell die Nationale Volksarmee übergeben.
Waren sie bislang mit der NVA in das östliche Verteidigungsbündnis „Warschauer Pakt" integriert, gehörten sie nun der NATO an.
Natürlich habe dieser historische Vorgang zu Spannungen und Akzeptanzproblemen geführt, stellte Rink fest. Innerhalb kurzer Zeit habe die Truppe noch dazu von 495000 auf 325000 Mann schrumpfen müssen, sowie es der Zwei-plus-Vier-Vertrag forderte.
Rink, zu dessen Fachgebieten die Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Organisationsgeschichte sowie die Geschichte der Einsätze der Bundeswehr zählen, präsentierte dem Publikum dazu Zahlen: Für die Weiterverwendung geeignet waren anfangs rund 47.000 ehemalige NVA-Soldaten.
Deren Anzahl reduzierte sich dann bis 1993 auf etwa 11.000. Bereits vor der Übernahme waren Generäle, Politoffiziere und andere Führungskader verabschiedet worden.
Die fundamentalen Veränderungen betrafen nicht das Personal, sondern auch Waffen aller Art, Munition und die Standorte.
Mit dem Einigungsprozess und der Transformation der Armee bis zur „Zeitenwende in 2022“ hat für Martin Rink „die Geschichte des Kalten Kriegs aber kein Ende gefunden.“
„Die Aufgaben, um die Sicherheit auf dem Globus zu erhalten und ein Gleichgewicht zu erzielen, werden bleiben“, ist sich Rink sicher.
„Krieg und Antikrieg sind miteinander verzahnt. Nur das Feindbild ändert sich. Heute müssen wir uns vor allem auf asymmetrische, hybride Formen der Gewalt einstellen, die zum Beispiel aus terroristischen oder ethno-religiösen Gründen drohen.“





