Gastbeitrag von Wolfgang Weber
Point Alpha ist vielleicht nicht so entscheidend für das, was hier geschah, sondern für das, was verhindert wurde: Der Ausbruch eines dritten Weltkrieges.
33 Jahre nachdem US-amerikanische Soldaten das letzte Mal vom Observation Post Alpha aus zu einer Patrouille entlang der Innerdeutschen Grenze zwischen Rasdorf und Geisa aufbrachen, erinnerte die Point Alpha Stiftung am Freitag mit dem Festakt Last Border Patrol an den Dienst der Soldaten.
Nach über vier Jahrzehnten an der „Grenze der Freiheit“ war im Frühjahr 1990 die Mission der US-Army am einstigen Eisernen Vorhang endgültig beendet.
Auftakt der Veranstaltung am Appellplatz im US Camp bildete das Fahnenzeremoniell, die sogenannte „Retreat Ceremony“, die von den Kadetten der High School JROTC in Wiesbaden unter Leitung von Instructor Allen T. Ashton durchgeführt wurde.
Sie holten die „Stars an Stripes“ ein, falteten sie nach einem streng festgelegten Muster zusammen und übergaben die Flagge feierlich an die Point Alpha Stiftung. Anschließend wurde eine neue Fahne gehisst.
Der Geschäftsführende Vorstand Benedikt Stock dankte den Amerikanern für ihren Einsatz, denn es sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die Hand zu reichen, wirtschaftliche und politische Aufbauhilfe zu leisten und die junge Bundesrepublik in die Gemeinschaft der freien Völker zurückzuführen.
Point Alpha sei ein großartiges länderübergreifendes Projekt, ein Lern- und Erinnerungsort, der ein historisches Erbe bewahre und in dem Gegenwart und Zukunft geprägt werde.
Es gab eine Reihe von Ereignissen, bei denen Alarmbereitschaft im US-Beobachtungsposten auf dem Hummelsberg herrschte: Die Befestigung der innerdeutschen Grenze, der 17. Juni 1953, die Kubakrise, der Volksaufstand in Ungarn, der Bau der Berliner Mauer, die Niederschlagung des Prager Frühlings oder zahlreiche andere Vorfälle entlang des Stacheldrahtzaunes.
Und womit niemand gerechnet hat: Mitten in Europa schrillen erneut die Alarmglocken durch einen brutalen Angriff auf Freiheit und Demokratie.
Alle Gastredner verurteilten die von Putin befohlene kriegerische Invasion der Ukraine und betonten, dass man dem Aggressor Seite an Seite geschlossen und entschlossen Paroli bieten müsse.
„In meinen Augen ist es gut zu wissen“, hob Stock hervor, „dass unsere amerikanischen Verbündeten bei europäischen Konflikten selbst heute noch nicht wegschauen.“
Norman Thatcher Scharpf, der US-Generalkonsul aus Frankfurt a. M., ließ das Engagement seiner Landsleute im Kalten Krieg noch einmal Revue passieren.
Als ehemaliger Marineoffizier könne er sich die Angst, die Einsamkeit und den Schrecken vorstellen, den die Soldaten hier auf Point Alpha empfunden haben, wenn sie in kalten, dunklen Winternächten patrouillierten.
Aber das sei nichts gegen die Schrecken, die die Ukrainer derzeit erlebten. Die westliche Allianz lehne die dreisten Versuche ab, mit Gewalt Grenzen neu zu ziehen und das Regelwerk zu zerstören, das uns allen mehr Sicherheit gebracht habe.
Scharpf erinnerte an die Luftbrücke, mit der man vor 75 Jahren ein freies West-Berlin verteidigt habe. Diese Hilfsaktion hätten damals viele für nicht möglich gehalten.
In ähnlicher Weise täten sich nun die Nationen zusammen, damit die Ukraine ihre Souveränität behalte und die Zukunft ihres Landes selbst bestimmen könne.
„In der Vergangenheit wurde Point Alpha als der heißeste Punkt des Kalten Krieges beschrieben und symbolisierte den Willen, Werte und Freiheit zu beschützen“, sagte Jed J. Schaertl.
Und der Brigadegeneral von der U.S. Army Europa und Afrika fügte an: „Heute sind die heißesten Punkte Bachmut, Luhansk, Saporischschja, Donezk und Cherson.“
Russland habe die Kernprinzipien verletzt, die den Weltfrieden und die Demokratie erhielten. Darüber hinaus sehe man ihre bösartigen Absichten an Orten wie Moldawien, Georgien und anderen Nationen.
Die NATO wolle kein Krieg mit Russland. Jedoch habe die amerikanische Regierung versprochen, die tapfere und leidende Ukraine solange zu unterstützen, wie es nötig sei.
Für das Landeskommando Hessen der Bundeswehr konstatierte Oberstleutnant Meinrad Angermayer diesbezüglich: „Sicherheitspolitik und Rüstung war kein Politikfeld, mit dem man sich in der Vergangenheit profilieren konnte. Nun hat uns die Realität eingeholt. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir in Europa das Recht des Stärkeren zulassen oder die Stärke des Rechts?“
Die Bundeswehr sei bereit, die Werte der freien Gesellschaft zu verteidigen und mahnte, dass die Truppe dazu nur befähigt werden müsse.
Rund 100 Schüler aus der Konrad-Zuse-Schule Hünfeld, des Dr.-Sulzberger-Gymnasiums Bad Salzungen und der Wiesbadener Highschool hatten bei dem deutsch-amerikanischen Schülerbegegnungstag nicht nur die Gelegenheit, bei diesem besonderen Schauspiel zugegen zu sein, sondern auch Zeitzeugen beider Nationen bei einem Rundgang über das Gelände des US-Camps und entlang der Grenzrekonstruktionen kennenzulernen und zu befragen.
Während des Festaktes hatten Grußredner an die Schüler und Besucher appelliert, nie zu vergessen, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich seien.
Es sei eine fortdauernde Aufgabe jungen Menschen historische Ereignisse näherzubringen, damit sie sich ein politisches Urteil bilden und auch Verantwortung für demokratische Prozesse als Teil der Zivilgesellschaft übernehmen könnte, brachte es Brigadegeneral Schaertl auf den Punkt.
Und Generalkonsul Scharpf gab den Schüler als Hausaufgabe mit auf den Weg: „Denken Sie darüber nach, wie Sie dazu beitragen können, diese freie und offene Welt zu schützen. Und überlegen Sie, warum es wichtig ist, Intoleranz und Diskriminierung zu bekämpfen, dem Antisemitismus entgegenzuwirken und Hass und Vorurteile zu bekämpfen.“