Gastbeitrag von Winfried Möller
Was einst zwei Weltsysteme trennte, verbindet heute den historischen, kulturellen und landschaftlichen Reichtum von Ost und West.
Aus dem rund 10.000 km langen Grenzstreifen, dessen Betreten im Kalten Krieg lebensbedrohlich war, ist heute ein „Grünes Band“ geworden, durch das sich der Europaradweg „EuroVelo 13“ schlängelt.
Von seinen Abenteuern, Eindrücken und Erlebnissen auf dem „Iron Curtain Trail“ berichtete jetzt der ehemalige Europaabgeordnete Michael Cramer in einem lebendigen Foto-Vortrag im Haus auf der Grenze von Point Alpha. Begrüßt wurden der Referent und das Publikum vom Studienleiter der Point Alpha Stiftung, Philipp Metzler.
Die Strecke führt von der norwegisch-russischen Barentssee im Norden bis zum türkisch-bulgarischen Schwarzen Meer im Süden durch 20 Länder.
Die Route verläuft so nah wie möglich an der ehemaligen Grenze, die sie auch häufig überquert. Sie integriert Zeugnisse der Geschichte und vermeidet stark befahrene Straßen.
Unterwegs gibt es viel zu sehen, zu staunen und zu erleben. Stationen sind beispielsweise das Kriegsdenkmal in Soumussalmi in Finnland, das Baltikum, wo die längste Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius gebildet wurde.
Bei Liepaja in Lettland mahnt eine Gedenkstätte in Form eines siebenarmigen Leuchters an den Holocaust. In der Kurischen Nehrung kann man Thomas Manns Sommerhaus besichtigen, in Königsberg auf den Spuren von Kant wandeln.
In Danzig erinnert das Solidanosc-Denkmal an den Beginn des Zerfalls des Eisernen Vorhangs. Cramer hatte für die Zuschauer im Haus auf der Grenze zahlreiche Bilder mitgebracht, glänzte bei der Präsentation mit historischem Hintergrundwissen und erzählt manch Anekdote.
Die Sehenswürdigkeiten, UNESCO-Welterbestätten, Mahn- und Denkmale reihen sich wie an einer Perlenkette. Und natürlich kommt der Radfahrer auch an der Gedenkstätte Point Alpha vorbei, wo der amerikanische und der Beobachtungsturm der DDR nur einige Meter voneinander entfernt stehen.
In Griechenland und Bulgarien wiederum limitiert die Topografie den Andrang. Bis zu 1700 Meter hoch sind die Pässe.
Auf die Frage, ob er einen Tipp habe, wie man mit diesen Anstiegen umgehen solle, antwortete Cramer: „Bleiben Sie optimistisch! Wenn es steil bergauf geht, wird der Ausblick spektakulär und die anschließende Abfahrt umso schöner.“
Auf den letzten Kilometern vor seinem Ende am Schwarzen Meer verläuft der Radweg ein Stück durch die Türkei und wechselt schließlich nach Bulgarien. Cramer hat dort zwei Fotos gemacht.
Sie zeigen doppelte Zäune: der eine verrostet und verwittert, der andere verzinkt und mit Stacheldrahtrollen bewehrt.
Der eine stammt aus dem Kalten Krieg, der andere wurde 2015 installiert – um Flüchtlinge abzuwehren. Damit ist der Zuschauer wieder im hier und heute.
Als Vorbild für diesen EuroVelo 13 diente der Berliner Mauer-Radweg, für beide Angebote ist Michael Cramer der Initiator. Der Europaradweg wurde auch als „Kulturroute des Europarats“ zertifiziert.
Der 74-Jährige ist die Tour selbst vollständig abgeradelt und hat darüber sechs sehr informative Bücher verfasst. „Dabei geht es natürlich auch um Begegnungen mit den Menschen und um interkulturelle Erfahrungen.
Aber, es dreht sich auch um die Zukunft, betont der Berliner und zitiert Wilhelm von Humboldt: „Nur, wer seine Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“.
Deshalb müsse man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, mit der schmerzhaften Spaltung Europas und der wunderbaren Überwindung durch die friedlichen Revolutionen.
Michael Cramer nahm auf Point Alpha auch die ökologische und ökonomische Bedeutung des Fahrradtourismus in den Blick, der eine jährliche Wachstumsrate von 20 Prozent aufweise.
Wie viele Menschen sich tatsächlich aufmachen, die Trennungslinie zu erobern, die einst durch Europa ging, ist nicht bekannt.
Auf alle Fälle stecke in diesem Projekt erhebliches Tourismuspotential, von dem auch Rasdorf und Geisa sowie die Gedenkstätte mit den musealen Ausstellungen profitieren könnten.
Rad-Touristen sind begehrt. Laut Studie geben Autotouristen im Durchschnitt ohne Übernachtung zehn Euro pro Tag, Rad-Touristen dagegen 35 Euro aus.
„Und, wer den inneren Schweinhund überwindet und in die Pedale tritt, bleibt fit“, weiß Cramer. Die Lebenserwartung von Radfahrern sei daher fünf Jahre länger als die der Nichtradler.