Gastbeitrag von Iris Reutter
Nach vielen Jahren akribischer Recherche stellte Inge Hohmann im sehr gut gefüllten Bürgerhaus in Wüstensachsen ihre Forschungsarbeit zu 300 Jahren christlich-jüdischen Miteinanders in der Rhöngemeinde vor.
Warum ließen sich ab dem 17. Jahrhundert gerade in dieser kleinen Gemeinde am Ende des Ulstertals so viele Juden nieder, obwohl die Menschen dort seit jeher Kälte, Hunger und kriegerischen Konflikten ausgesetzt waren? Und wie gestaltete sich das Zusammenleben der christlichen Dorfbevölkerung mit den Bewohnern anderen Glaubens?
Diese und zahlreiche andere Fragen, die sie sich selbst von Jugend an gestellt hatte, beantwortet die selbst aus „Soasse" stammende Autorin in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Wüstensachsen — 300 Jahre Heimat von Christen und Juden" (Verlag Parzeller).
Vor allem die Aussicht auf die Schutzgeldzahlungen - ein profitables Geschäftsmodell in der ärmlichen Region - veranlasste die ritterschaftlichen und geistlichen Herren, überdurchschnittlich viele Juden anzusiedeln, die bis zu ihrer Einbürgerung im Jahr 1817 sogenannte „Schutzjuden“ blieben und hierfür eine beträchtliche Summe ihrer zumeist äußerst bescheidenen Einkünfte entrichten mussten.
Einmal in Wüstensachsen ansässig, wurden sie oftmals zum Spielball zwischen säkularen und religiösen Autoritäten, wie Hohmann eindrucksvoll am Beispiel einer jungen Jüdin zeigt, die ihr Kind von einem christlichen Vater auf Befehl des Fuldaer Fürstabtes vom würzburgischen Rabbiner in Wüstensachsen beschneiden lassen musste.
Der auch noch von ihren eigenen Eltern tradierten Vorstellung des „reichen Juden" trat die Autorin unter Verweis auf ihre Forschungsergebnisse entschieden entgegen.
Keineswegs seien die jüdischen Dorfbewohner wohlhabender gewesen, vielmehr sei ihr Ernährungszustand im Durchschnitt nachweislich schlechter gewesen als der der christlichen Bevölkerung.
300 Jahre lang lebten die Wüstensachsener Juden (1803 über 20% der Bevölkerung) ihre Religion, errichteten Mikwen, feierten ihre Gottesdienste in einer Synagoge und beerdigten ihre Toten in Weyhers, wohin sie sie auf beschwerlichen Wegen über die Hochrhön bringen mussten, wie Hohmann nachweist.
Unterstützt durch Abbildungen aus ihrem Buch skizzierte die Autorin ein dörfliches Zusammenleben beider Religionen, das nicht immer harmonisch, sondern mitunter auch konfliktträchtig war, in dem sich aber auch Freundschaften und Zusammenhalt im Kampf mit den unwirtlichen Lebensbedingungen entwickelten.
Bürgermeister Peter Kirchner, der zu der Buchpräsentation eingeladen hatte, dankte der Autorin für ihre wertvolle Arbeit und das „besondere“ Buch und verlas ein Gruß- und Dankeswort von Michael Buchsbaum, eines Nachfahren einer Familie, die seit 1750 im Dorf ansässig war.
Am Ende ihres Vortrags erinnerte Inge Hohmann mit zahlreichen Fotos an jüdische „Sässemer", die über eine so lange Zeit in dem kleinen Rhönort ihre Heimat gefunden hatten — bis zum grausamen Ende auch der jüdischen Gemeinde Wüstensachsens.