Beitrag von Michael Knauf
Am 7. August 1940 erblickte Ernst-Josef Strätling in der thüringischen Rhönstadt Geisa das Licht der Welt. Er ist der Sohn des Malermeisters Josef Strätling und seiner Ehefrau Martha, geborene Jakob.
Er wuchs bis zum Jahr 1949 ohne den sich in russischer Kriegsgefangenschaft befindlichen Vater auf, der jedoch von seinem Großvater Ludwig Jakob sehr gut vertreten wurde. So verlebte er eine geborgene Kindheit. 1950 und 1951 wurden seine beiden Schwestern Annette und Beate geboren.
Ab 1954, nach dem Ende der 8. Klasse, erlernte er im väterlichen Malergeschäft den Beruf des Malers und Anstreichers. Im Jahr 1957 schloss er die Ausbildung mit der Auszeichnung des damaligen Staatsdiploms ab, das ihm nun als Handwerkersohn dennoch das Studium ermöglichte.
Um dies zu realisieren, musste er ab 1958 in der Lackfabrik Ilmenau den Chemiefacharbeiterberuf erlernen.
Schon 1959 begann er mit seiner späteren Frau das damals auch zur Hochschulreife führende Ingenieur-Studium zum Chemieingenieur in Berlin. In diese Zeit fiel auch die Errichtung der Berliner Mauer, am 13. August 1961, wo auch die Studenten ab September 1961 mit bauen mussten.
1962 beendete er das Studium erfolgreich und begann im damaligen VEB Berlin-Chemie seine Tätigkeit zusammen mit seiner späteren Frau Elisabeth.
Die Absolventen des ersten Studiengangs nach dem Mauerbau waren gesucht, waren doch die meisten Absolventen bis 1961 nach Westberlin gegangen um den Repressalien, aber auch dem Armeedienst zu entkommen.
1962 waren seine Eltern auch aus Geisa weggezogen, in das heutige Chemnitz. Sie verließen Geisa hauptsächlich um dem Zwang einer PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) beitreten zu müssen zu entkommen. Der Vater arbeitete dort dann als unselbstständiger Haushandwerker.
1963 bekam das junge Paar Strätling endlich eine „Ausbauwohnung“ in Berlin und er heiratete seine Frau Elisabeth, geb. Huck. Im Jahr 1964 war die junge Familie komplett, Tochter Ulrike wurde geboren. Ulrike blieb ein Einzelkind.
Neben der Tätigkeit im Betrieb begann Herr Strätling 1963 mit einem Fernstudium zum Diplomchemiker an der Technischen Universität Dresden, das er 1971 so abschloss, dass er mit einem betrieblichen Forschungsthema seine Promotion bis 1976 erfolgreich mit „summa cum laude“ absolvieren konnte.
Es entstand sein erstes Patent zur „Oxidation des p-Nitroethylbenzols mit Luftsauerstoff“ zur Vermeidung gewaltiger Nebenproduktmengen des bisherigen Verfahrens.
Trotz seiner damals sehr kritischen Bewertung durch die Parteiführung der SED, die man häufig in dem Satz: „Du würdest auch im Kapitalismus funktionieren“ zusammenfasste, wurde er 1978 Direktor für Produktion in Berlin-Chemie und musste im Juli 1979 die Direktion Forschung im neu gebildeten Kombinat GERMED im Dresdner Arzneimittelwerk übernehmen. Er war zugleich erster Stellvertreter des Generaldirektors.
Das Kombinat umfasste damals die gesamte pharmazeutische Produktion der DDR, unter anderem auch das Leuchtstoffwerk in Bad Liebenstein.
Es waren etwa 15.000 Beschäftigte in 20 verschiedenen Territorien, die durch diese Konzentration eine höhere Arbeitsproduktivität haben sollten.
Schon damals war zu erkennen, dass man durch immer größer werdende Strukturen nur mehr Verwaltung und Bürokratie schafft, was sich ja auch nur zehn Jahre später zeigen sollte.
Am Ende war es die „Verantwortung für die Goldmedaillen des DDR-Sports“, die ihn einen Ausweg suchen ließ und so wurde er wieder nach Berlin in das Kosmetik Kombinat, das auch gerade gebildet worden war, beordert, um dort die Forschung und später die Produktion im Stammbetrieb Berlin zu übernehmen.
Durch die Planwirtschaft hatte man es geschafft, dass die DDR sogar Lippenstifte importieren musste. Nun wurden wieder im eigenen Land Lippenstifte produziert.
Solche und andere Erfolge ermöglichten es ihm wieder in den Berlin-Chemiebetrieb zurückzukehren und sowohl seine Promotion B (Habilitation) zu beginnen und gleichzeitig zunächst als Produktionsabteilungs- und dann bis zur Wende als Bereichsleiter für die Chemieproduktion mit etwa 360 Beschäftigten verantwortlich zu sein.
In dieser sehr kreativen Zeit entstanden viele Patente und Neuerungen und es entwickelte sich eine neue Generation Chemiker. Die komplizierte Gewinnung von Insulin, die Antibiotikasynthesen aber auch die spezifische Produktion stabil isotoper Verbindungen waren sein Werk an der Spitze von – damals so bezeichnet – Kollektiven.
Er war in seiner Verantwortung, die komplizierten Übergänge nach dem Fall der Mauer, dem absehbaren Ende der DDR und dem Heranreifen marktwirtschaftlicher Arbeitsweisen für sein Team zu organisieren.
So führte man eine Abstimmung über die Vertrauensfrage der Leiter durch. Herr Dr. Strätling blieb und war bis zum Verkauf von Berlin-Chemie an den italienischen Menarinikonzern 1992 verantwortlich für die Chemie. Heute sagt man dazu „Chefchemiker“.
Es war schon damals für ihn klar, dass die Chemieproduktion, wie sie in der DDR betrieben werden musste, keinen Bestand haben wird. Einerseits weil über Jahre nicht investiert wurde, aber andererseits auch durch die damals schon vorhandene Aversion gegen Chemie der „Grünen“ Umweltsenatoren im nunmehr vereinigten Berlin.
Befördert auch dadurch, dass der „Alteigentümer“ Schering in Westberlin seine – so ausgeführt – „Weltkonzeption“ nicht ändern wollte „wegen dem bisschen DDR“ und natürlich auch die Folgen der bevorstehenden Entlassungswelle fürchtete.
Heute gibt es noch immer die Berlin-Chemie AG, aber der Mutterkonzern in Westberlin heißt Bayer AG. Aber es gab auch Chancen für den damals 50-jährigen Strätling – in dem neuen Deutschland.
Eine entfernte Verwandte in Thüringen bat Dr. Strätling schon Anfang 1990, ihr bei der Reprivatisierung des 1972 enteigneten Betriebes zu helfen.
Die in Königsee seit 1906 beheimatete Firma Hofmann & Sommer (von 1972 – 1991 VEB Pharmazeutika Königsee) hatte ihre Selbstständigkeit und sogar ihren Namen verloren und sollte wieder zum Leben erweckt werden.
Durch seine fachlichen, aber auch internen Kenntnisse wurde die Firma unter dem Namen, den sie bis 1972 trug, bereits noch im September 1990, wenige Tage vor Ende der DDR, als Arzneimittelbetrieb wieder zugelassen.
Nach der Wiedervereinigung hatte die Treuhand nur ein Ziel: die ehemaligen DDR-Betriebe so schnell als möglich an westliche Unternehmer zu veräußern und die ehemaligen Eigentümer mussten einerseits bis 1948 enteignete Betriebe zurückkaufen und das galt dann auch für die Reprivatisierung der 1972 enteigneten Betriebe.
Nach einem dreijährigen Kampf mit der Treuhand Berlin, siegten Frau Fischer (geb. Hofmann) und Dr. Strätling dann durch Entscheidung des Thüringer Amtes für Vermögensfragen.
Damals unter Leitung von Frau Diezel, der späteren Thüringer Landtagspräsidentin, wurde am 52. Geburtstag von Dr. Strätling die Reprivatisierung als vorläufige Einweisung verfügt. Vorläufig bedeutete damals nur vorläufig für die Reprivatisierer, denn sie konnten den Betrieb zurückgeben, umgekehrt nicht, da war es endgültig. Erst im November 1993 gab die Berliner Treuhand den Kampf auf.
Mit Geschick im Verhandeln mit der Berlin-Chemie AG über Abfindungen für Dr. Strätling und seine Frau, durch günstigen Verkauf der Immobilien von Strätlings im Berliner Umland und durch Nutzung schon seit der DM-Einführung bestehenden Kontakte mit einem Westberliner Finanzmakler und ehemaligen Geschäftspartnern von Dr. Strätling aus der Berlin-Chemie-Zeit, gelang es, die Anschubfinanzierung (Neukauf von Maschinen, Fortsetzung der schon begonnenen Investitionen der Treuhand für den von ihr favorisierten dänische Investor, Erarbeitung eines neuen technologischen Konzepts für die Produktion von explosivem Äther für die Traditionsprodukte Hoffmannstropfen, Dreierlei Tropfen und später Hingfong und W-Tropfen und die Einführung der bundesrepublikanischen Arzneimittelprinzipien der Herstellung) so zu beschleunigen, dass schon im Juni 1993 die neue Herstellerlaubnis erteilt werden konnte.
Vergessen werden dürfen allerdings nicht die Kämpfe mit den westdeutschen Wettbewerbern für Melissengeist, Ohropax und Sepso, die hätte man sie nicht gewonnen, jede für sich den Untergang bedeutet hätte und sich bis 1997 hingezogen. So findet man heute Hofmann & Sommers Melissengeist H als Leaderprodukt der Hausmarken von Rossmann und Müller.
Dr. Strätling verfolgte immer das Prinzip der drei Standbeine (Tisch steht stabil ohne wackeln). So entwickelte er neben der traditionellen Produktion mit Zulassungen und Warenzeichen aus der Verwandtschaft der pflanzlichen Arzneimittel eine homöopathische Linie in enger Zusammenarbeit mit inzwischen 250 Naturheilern und Homöopathen auf der Basis von Lizenzen der Heilpraktikerrezepturen.
Damit gelang der unmittelbare Durchbruch in die vor allem religiös stark geprägten alten Bundesländer und die Möglichkeiten der Direktbelieferung der Apotheken führte dazu, dass heute fast jede Apotheke Deutschlands, natürlich auch die Apotheke in seiner Heimatstadt, auf der Kundenliste steht.
Die Möglichkeiten, die durch Rationalisierung entstanden, ermöglichten einen starken Ausbau der Dienstleistung Lohnfertigung – wiederum durch Nutzung von Synergien, Expertise, Know-how – Übertragung und exportorientierter Marktbearbeitung.
Durch Zukauf von Betrieben in Schwierigkeiten (Stilllegung, Insolvenzen) und Zulassungen existieren heute drei Standorte in Königsee, Pößneck und die Forschung in Berlin.
Inzwischen zeigen wissenschaftliche Publikationen und Patente, Gebrauchsmuster und Warenzeichen von einer aktiven Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen, wie Charité, Freie Universität Berlin, ehemalige Beuth Fachhochschule Berlin jetzt BHT und der Universität in Potsdam die Erfolge auf den Gebieten, die die Grundlagen der Existenz des Unternehmens sind.
Nicht zuletzt wird mit der Eigenausbildung für Fachberufe und jährlich meist zwei Diplom-, Master- oder Bachelorarbeiten die Personalpolitik flankiert.
So wurde dieses Jahr ein Azubi zum Facharbeiter für Lagerlogistik ausgebildet und schloss als Bester seines Jahrgangs im IHK Bereich Gera ab.
All diese Aktivitäten verbinden das Unternehmen, die Beschäftigten und den Unternehmer unter der Losung „Wir haben es bewahrt, denn es hat sich bewährt“
Gestützt auf diese Erfolge steht Dr. Strätling in engem Kontakt mit führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft von Thüringen, logischerweise über Parteigrenzen hinaus, denn die Krankheitsbekämpfung benötigt eine „Rotkreuzphilosophie“.
So war der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow gern gesehener Gast zur 30. Jahrfeier der Reprivatisierung des Pharma-Produzenten „Hofmann & Sommer“, im Jahr 2023 in Pößneck, aber auch MdL Martin Henkel und die Bürgermeister der Orte Königsee und Pößneck.
Der amtierende Bürgermeister von Königsee stammt sogar aus dem Haus Hofmann & Sommer.
Als Besonderheit hat Dr. Strätling den Bürgermeistern von Pößneck, Königsee, aber auch seiner Heimatstadt Geisa die Möglichkeit eröffnet, jährlich einen Preis für soziales und heimatbezogenes Engagement zu vergeben und zugleich einen eigenen ortstypischen Bezug zu entwickeln.
So wird bereits seit Jahren in Königsee der „Wandernde Heilkräuterpreis“ verliehen, vom Professor über den Imker bis zu jener Frau, die das Verhalten von Wildschweinen zu Kräutern studierte.
In Pößneck wird der Preis nach einem Ehrenbürger der Stadt, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts sein ganzes Vermögen der Stadt für solch ein Engagement übertrug, diese aber in der Inflation 1923 viel verlor und er fast in Vergessenheit geriet, benannt.
2021 war es dann so weit, dass auch die neue Bürgermeisterin in Geisa den Vorschlag aufgriff und dem Preis den Namen des größten Sohnes der Stadt Geisa, also Athanasius-Kircher, gab.
Es war nicht nur eine Ehre für den ersten Preisträger Herrn Berthold Dücker, der ihn für sein Engagement um den Point Alpha bekam, sondern auch für den Preisstifter eine solche Persönlichkeit damit zu ehren. Inzwischen wurde er 2024 zum dritten Mal an verdienstvolle Persönlichkeiten mit sozialem und kulturellem Engagement vergeben.
Für jeden Preis initiierte Dr. Strätling mit dem Leiter der Empfertshauser Bild- und Schnitzschule einen Wettbewerb unter den Schülern und es wurde dann die beste Skulptur herausgesucht. In Geisa ist es eine Steele, erschaffen von der Bildhauerin Carolin Borchard, mit dem Kopf von Athanasius Kircher.
Herr Dr. Ernst-Josef Strätling ist mit stolzen 84 Jahren sehr agil und setzt laufend neue Ideen um. Er ist ein Unternehmer und Wissenschaftler mit Herz, Leib und Seele und wird mit Weitsicht und Geschick weiterhin an ein Vorankommen der Firmengruppe Hofmann Sommer arbeiten.
Wer die Geschichte und das Lebenswerk von Dr. Strätling eingehend betrachtet, wird stark an den viel publizierten amerikanischen Traum erinnert. Dieses Mal erfüllte sich der Traum im Freistaat Thüringen, im vereinten Deutschland. Gerade deshalb ist Herr Dr. Strätling, ein Vollblut Thüringer mit Rhöner Wurzeln, in unserer heutigen, unruhigen Zeit ein Vorbild für uns Alle.
Wir wünschen Herrn Dr. Ernst-Josef Strätling viel Gesundheit, Freude, Glück und Erfolg für seinen weiteren Lebensweg.
Auf diesem Wege möchte sich der Verfasser für die Hilfe und Unterstützung zur Erarbeitung des vorliegenden Beitrags bei Herrn Dr. Ernst Josef Strätling, bei Frau Siegmund aus Königsee und bei der Heimatfreundin Frau Benedikta Bollenrath aus Geisa bedanken.
Erläuterung:
Athanasius Kircher - war ein deutscher Universalgelehrter, Jesuit und Professor der Philosophie und Theologie. Er wurde am 2. Mai 1602 in Geisa/Rhön geboren und verstarb am 27. November 1680 in Rom.