Gastbeitrag von Wolfgang Weber
(Point Alpha Stiftung)
„Geschichte schreiben immer die Sieger, außer in Vietnam.“ Eine These, die Dr. Andreas Margara in den Räumen der Point Alpha Stiftung aufstellte und die auf eigenen Erfahrungen aufbaut.
Der studierte Historiker lebte selbst einige Zeit im vietnamesischen Hanoi und produzierte mit dem ZDF im Jahr 2019 eine Dokumentation über das Land am Mekong.
Diese Erfahrungen flossen auch in das 2022 im regiospectra Verlag erschienene Buch „Geteiltes Land, geteiltes Leid“ ein, das am Abend des 24. April 2025 auf Point Alpha vorgestellt wurde.
Ein Blick auf die Popkultur bestätigt unterdessen die These des Experten. Filme, Bücher, Musik und neuerdings auch Computerspiele zeigen den Vietnamkrieg fast immer aus einer amerikanischen Perspektive und damit aus dem Blickwinkel des Verlierers.
Doch auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zur Demokratischen Republik Vietnam im Norden und der im Süden gelegenen Republik Vietnam kommt bei Diskussionen um Vietnam kaum vor. Und das obwohl Deutschland in Vietnam äußerst positiv besetzt ist und eine vietnamesische Community in Deutschland bis heute existiert.
Die Grundlagen dafür finden sich im Zeitraum von 1946 bis 1954 – von den Amerikanern fehlt in Vietnam noch jede Spur. Stattdessen tobt dort ein Krieg, den die französische Kolonialmacht von 1946 bis 1954 gegen die Unabhängigkeitskämpfer des Việt Minh führt.
Mit dabei: ehemalige deutsche Soldaten, die als Fremdenlegionäre die Kolonie schützen, oder als Überläufer den Unabhängigkeitskämpfern wichtige Informationen über französische Taktiken übermitteln. Doch der Konflikt beeinflusst bald auch die 1949 gegründeten deutschen Staaten.
Dr. Margara machte deutlich, dass der Beginn der deutsch-vietnamesischen Beziehungen auch mit der Erreichung außenpolitischer Ziele der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik verbunden war.
Um als souveräner Staat zu erscheinen, baut die DDR Beziehungen zur Demokratischen Republik Vietnam auf und bildet nordvietnamesische Schüler in ostdeutschen Schulen aus. Die Bundesrepublik positioniert sich bis zur Niederlage Frankreichs klar an dessen Seite, um die von Adenauer verfolgte Westintegration zu betonen.
Die ab 1965 beginnende Intervention der Amerikaner auf Seiten der Republik Vietnam verstärkt auch das Engagement beider deutschen Staaten in der Region. Sogar westdeutsche Truppen sollen die Amerikaner laut Dr. Margara für einen Einsatz in Vietnam gefordert haben. Zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg undenkbar.
Die Bundesregierung setzt auf eine andere Strategie: „Medizin statt Munition“ lautet das Stichwort und so werden z.B. das Hospitalschiff „Helgoland“ und Freiwillige des Malteser Hilfsdiensts nach Südvietnam geschickt.
Die westdeutschen Helfer versuchen die Folgen des Konflikts durch medizinische Hilfe vor Ort zu lindern, geraten dabei aber auch zwischen die Fronten und werden sogar entführt.
Der Grund: die Deutsche Demokratische Republik nutzt die westdeutsche Hilfe für ihre Propaganda und vergleicht die humanitären Bemühungen sogar mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Gleichzeitig sammelt die Kampagne „Solidarität hilft siegen“ Geld und Sachmittel für den Kampf der Nordvietnamesen gegen die Amerikaner.
Die Beziehungen zwischen der DDR und Nordvietnam sind bald so gut, dass die ostdeutsche Propaganda auch in der nordvietnamesischen Hauptstadt verfängt und westdeutsche Helfer als imperialistische Spione betrachtet werden.
Wie eng die Beziehungen waren, verdeutlichte Dr. Margara an folgendem Beispiel: zum einen helfen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit beim Aufbau des nordvietnamesischen Geheimdienstes. Zum anderen bekommen eben diese Mitarbeiter auch Zugang zu den entführten Helfern aus Westdeutschland.
Als die Amerikaner 1975 mit dem Fall Saigon ihr „Engagement“ in Vietnam beenden, ist dies keinesfalls das Ende der deutsch-vietnamesischen Beziehungen. Die Bilder der „Boatpeople“ gehen um die Welt.
Unterstützer der südvietnamesischen Regierung sehen keine andere Möglichkeit, als die Flucht über das Südchinesische Meer zu wagen. Die Bilder lösen in Westdeutschland Erinnerungen an die Vertreibungen am Ende des Zweiten Weltkriegs aus und führen zu einer Welle der Solidarität.
Westdeutsche Schiffe wie die „Cap Anamur“ retten die Flüchtlinge und bringen sie nach Westdeutschland, wo sie teils bis heute leben. Die DDR benötigt unterdessen dringend Arbeitskräfte und wird in der wiedervereinten Sozialistische Republik Vietnam fündig.
Bis zu 70.000 Vietnamesen arbeiten ab 1980 in Volkseigenen Betrieben als Vertragsarbeiter oder absolvieren in der DDR eine universitäre Ausbildung. Gleichzeitig leistet Ost-Berlin Wirtschaftshilfe für das kriegszerstörte Land und versucht Vietnam z.B. zum weltgrößten Kaffeeexporteuer aufzubauen.
Durch diesen Umstand prallen laut Dr. Margara im Deutschland der Wendezeit zwei Welten aufeinander. Die in Ostdeutschland verbliebenen Vietnamesen, die meist die kommunistische Partei unterstützten, treffen nach der Wiedervereinigung plötzlich auf im Westen lebende vietnamesische Flüchtlinge, die vor genau dieser Partei unter Gefahr für Leib und Leben geflohen waren.
Eine gesamtdeutsche vietnamesische Community entsteht dennoch, die auch die Politik des wiedervereinten Deutschlands beeinflusst. Enge Wirtschaftsbeziehungen entstehen zwischen dem wiedervereinten Deutschland und Vietnam auch, weil heute knapp 188.000 Vietnamesen in Deutschland leben.
Bis heute ist die Hilfe der beiden deutschen Staaten in Vietnam nicht vergessen, was die Beziehungen der beiden Länder ebenfalls positiv beeinflusst.
Die nach dem Vortrag an Dr. Margara gestellten Fragen machten unterdessen deutlich: Vietnam im Jahr 2025 ist ein Land der Widersprüche. Schon 1986 öffnete sich das Land gegenüber dem Westen und trotz einer kommunistischen Einparteienherrschaft, prägen moderne Wolkenkrater das Stadtbild Ho-Chi-Minh-Stadts.
Und selbst die amerikanische Sichtweise auf den Vietnamkrieg hat sich laut Dr. Margara in Vietnam durchgesetzt, gerade bei Attraktionen für Touristen: So trägt z.B. ein Nachtclub den Namen „Apocalypse Now“, also den Titel des wohl bekanntesten „Vietnamfilms“ Hollywoods.
Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Geschäftsführende Vorstand der Point Alpha Stiftung, Benedikt Stock, den Referent begrüßt. Er betonte, dass auf Point Alpha die Geschichte Vietnams zum Verständnis des deutschen Dualismus im Kalten Krieg eine große Rolle spielt. Deshalb freue er sich besonders über den Abendvortrag und das zweitägige, begleitende Bildungsseminar zum Thema.