Vortrag auf Point Alpha: 70 Jahre Bundeswehr im Wandel der Zeit

Gastbeitrag von Wolfgang Weber

Die Bundeswehr feiert dieser Tage ihr 70-jähriges Bestehen. Die Gründung am 12. November 1955 mit 101 Soldaten und der Beitritt zur NATO waren entscheidende Wegmarken.

Hauptmann Sebastian Preuße, Jugendoffizier in Erfurt, nahm in der Gedenkstätte Point Alpha das interessierte Publikum mit auf eine Exkursion in die Entstehung und Entwicklung der Bundeswehr und betrachtete ihre heutige Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur.

Nur zehn Jahre nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges durfte die Bundesrepublik Deutschland in Folge des sich zuspitzenden Kalten Krieges wieder eine Armee aufstellen.

Mit der Bundeswehr entstand eine gänzlich andere Armee, als es die Wehrmacht des Dritten Reichs war – beseelt vom Geiste der Demokratie, reguliert durch Parlament und „Innere Führung“, eingebunden in die transatlantische Partnerschaft – kurz: eine Armee neuen Typs.

Preuße erinnerte daran, dass die Parlamentsarmee mit ihren Staatsbürgern in Uniform während ihrer 70-jährigen Geschichte stets große Herausforderungen gemeistert habe: Sie trug zur Abschreckung während des Kalten Krieges bei und war nach dem Ende der Blockkonfrontation zur Friedenssicherung an verschiedenen Auslandseinsätzen beteiligt.

„Bündnisverantwortung, Verteidigungsfähigkeit und demokratische Kontrolle“ seien nach wie vor entscheidend für die Identität.

Anders als gemeinhin bekannt, war die Bundeswehr schon relativ bald nach ihrer Gründung in Auslandseinsätzen aktiv. Ihre erste Mission hatte die Bundeswehr nämlich 1960 bei einem schweren Erdbeben im marokkanischen Agadir.

Nach einem langwierigen Aufbau hatten die Streitkräfte schließlich Mitte der 1980er-Jahre beinahe 4.000 Panzer und 1.000 Artilleriegeschütze im Bestand, der Schützenpanzer „Marder“ und Transportpanzer „Fuchs“ avancierten zu Erfolgsprojekten.

Doch schon damals stand nicht jedes Rüstungsprojekt unter einem guten Stern, wie auf besonders tragische Weise der Düsenjäger „Starfighter“ oder die Korruptionsaffäre rund um einen Schützenpanzer bewiesen.

Die Personalstärke lag bei bis zu 500.000 Soldaten und rund 900.000 Reservisten. Drei bis vier Prozent des Bruttoinlandproduktes standen Jahr für Jahr im Verteidigungshaushalt zur Verfügung – und zwar unabhängig der politischen Machtverhältnisse an der Regierungsspitze.

„Zu diesem Zeitpunkt waren wir echt gut“, stellte Preuße fest. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Nicht nur der NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing-Raketen sowie die Proteste der Friedensbewegung waren erste Kipppunkte.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation entfiel scheinbar auch die Notwendigkeit einer schlagkräftigen Bundeswehr. Schließlich machte der Einzug von Bürokratie und das selbstverwaltete Beschaffungswesen der Truppe das Leben schwer.

„Allenthalben herrscht Mangel“, sparte Preuße nicht mit Kritik an der eigenen Institution und verschwieg auch nicht die Fehlinvestitionen.

„Es sollte Geld gespart und ein Zeichen für den Frieden gesetzt werden. Die Sollstärke wurde auf unter 200.000 Soldaten reduziert, die Wehrpflicht ausgesetzt“, führte er weiter aus. Das räche sich nun.

Die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA sowie die Annexion der Krim waren gravierende Einschnitte. Es begann die Ära der Auslandseinsätze beispielsweise im Kosovo, Mali, Somalia und natürlich in Afghanistan.

Die zahlreichen Einsätze führten die mangelhaft ausgestattete und zusammengeschrumpfte Truppe an den Rand der Belastungsgrenze.

Kein Wunder also, dass der damalige Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, beim Antreten in der Gothaer Kaserne kurz vor Kriegsausbruch in der Ukraine feststellte: „Sollte Russland die Ukraine angreifen stehen wir blank da – und er hatte Recht“, resümierte der 31-jährige Offizier.

Der Krieg in Europa, hybride Angriffe, Cyber-Attacken und das Säbelrasseln in anderen Weltregionen markieren nun den Ausgangspunkt für eine neuerliche Zeitenwende. Damit einhergehend auch die brennende Frage: Wie geht es weiter mit der Bundeswehr?

Eine Patentlösung hat der Hauptmann aus Erfurt nicht parat und verweist auf einen 1000-seitigen „Operationsplan Deutschland“, in dem Struktur und Einsatz der Bundeswehr für die Zukunft neu definiert werden. Ob das gelingt?

„Der Krieg ist ein Chamäleon“, sagte Preuße in Anspielung auf eine Aussage des preußischen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz. Heute beherrschen Drohnen das Schlachtfeld, aber letztlich würden Soldaten nach wie vor gebraucht.

Preuße setzt auf die Anpassungsfähigkeit der Bundeswehr und zog beim Blick in die Geschichte ein durchaus hoffnungsvolles Fazit.

Zu Beginn hatte Jan Ludwig Antoni die Zuschauer und den Referenten im Haus auf der Grenze begrüßt.

„Die eigene Armee im Land ist besser als eine andere“ – in diesem Slogan aus einer Werbekampagne der Bundeswehr sieht der Wissenschaftliche Mitarbeiter einen der Gründe, warum die Akzeptanz für die Bundeswehr wieder wachse.

Erschreckend sei allerdings, dass es für diesen Stimmungswandel in der Bevölkerung einen Krieg brauchte.

Kompakt führte Antoni ins Thema ein, zitierte dabei die Rede des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier zum 70. Gründungstag der Bundeswehr: „Armee und Gesellschaften dürfen sich in einer Demokratie niemals fremd werden.“

Eine Aufgabe, die für die Bundeswehr ein permanenter Auftrag ist.