Gastbeitrag von Stefan Denner
Üblicherweise bereichern Zeitzeugen den Unterricht im Fach Geschichte. Der Geografiekurs der zehnten Klassen der Regelschule in Geisa lud vergangene Woche einen syrischen Flüchtling ein, um im Unterricht über die Umstände seiner Flucht zu berichten.
Suleiman Hasso kam 2015 als Asylsuchender nach Deutschland und lebt und arbeitet heute im Rhönstädtchen Tann.
Ausgehend von den Flüchtlingsströmen im Jahre 2015 untersuchen die Geisaer Schüler im Geografieunterricht die geopolitischen Umbrüche in Nordafrika und dem Nahen Osten.
Beginnend mit anfänglichen Protesten während des Arabischen Frühlings 2011 und dem Zerfall jahrzehntealter Diktaturen, wurde der orientalische Raum derart destabilisiert, dass er seither Transitraum unzähliger Flüchtlinge geworden ist.
In Syrien, dem Heimatland des Gastes, weigert sich seither Diktator Assad demokratische Reformen zuzulassen. Stattdessen geht er mit seinen Streitkräften gegen die eigene Bevölkerung vor, sodass seit mehr als 10 Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg herrscht.
So stehen sich die regierungstreuen Truppen Assads, die oppositionelle Freie Syrische Armee, die bewaffneten kurdischen Milizen und der terroristische IS an verschiedenen Frontlinien gegenüber. Längst ist Syrien zu einem Spielball geopolitischer Interessen geworden.
Großmächte wie die USA, Russland und die Türkei versuchen in diesem Stellvertreterkrieg durch militärische und finanzielle Unterstützung den eigenen Einfluss zu sichern.
Der Unterrichtsgast schilderte den Schülern in anschaulicher Weise, wie sich das Leben in Syrien seither verändert hat und warum er seine Heimat verlassen musste. Mit Beginn der Unruhen im Jahre 2011 wurde sein Militärdienst unerwartet verlängert, um von nun an gegen Oppositionelle und Demonstranten vorgehen zu müssen.
Wie viele seiner Kameraden wollte er nicht gegen eigene Landsleute kämpfen. Einen Heimaturlaub nutzte er schließlich, um zu fliehen. Als Deserteur war ihm jedoch klar, dass er Syrien umgehend verlassen muss, sodass er in die benachbarte Türkei floh.
Nach 3 Jahren im türkischen Exil mit wechselnden Wohnorten, entschloss sich Suleiman 2015 schließlich zur Flucht nach Europa. Zu groß war die Angst, eines Tages erkannt und zurück nach Syrien verschleppt zu werden. Aus Erfahrung wusste er, dass ihm in diesem Falle Inhaftierung, Folter und Exekution drohten.
Nach einem ersten gescheiterten Fluchtversuch über den Landweg gelang ihm und seinen Begleitern schließlich die Flucht mit einem Schlauchboot auf die griechische Insel Kos. Hier war es ihm nun endlich möglich, sich als Schutzsuchender in der EU registrieren zu lassen.
Von nun an ging es mit einigen Habseligkeiten im Rucksack durch verschiedene Balkanländer Richtung Deutschland. Warum gerade nach Deutschland wollten die Schüler von ihm wissen. Ein in Bremen wohnender Onkel sollte als erster Anlaufpunkt dienen. Schließlich konnte er weder eine europäische Sprache, noch wusste er überhaupt, wie es für ihn in Europa weitergehen sollte.
Die Berichte des syrischen Gastes machten den Schülern deutlich, dass hinter jeder Flucht eine ganz persönliche Geschichte steckt. Motivation und Beweggründe sind dabei ebenso individuell, wie die Menschen selber, die diesen finalen Schritt wagen.
Einig waren sich die Schüler alle, dass niemand freiwillig seine Heimat und seine Familie verlässt. Die Schüler wissen aus dem Geschichtsunterricht, dass Unterdrückung, Flucht und Vertreibung auch ein trauriger Teil unserer Geschichte ist.
So mussten im 20. Jahrhundert Millionen Deutsche vor Krieg und Verfolgung fliehen. Die momentanen Ereignissen in der Ukraine zeigen darüber hinaus, dass das Thema aktueller denn je ist.
Angesprochen auf seine Eltern und Geschwister, die noch in Syrien leben, sagte der Unterrichtsgast, dass er sie sehr vermisse und es seit Jahren nur telefonischen Kontakt gebe.
Irgendwann, wenn der Krieg vorbei ist, möchte er seine Heimat und seine Familie wieder besuchen können, ohne Angst vor Verfolgung haben zu müssen. Wann das jedoch sein kann, ist für ihn heute nicht absehbar.
Besorgt und nachdenklich fragt sich Suleiman, wie die Menschen in seinem Heimatland irgendwann wieder friedlich zusammenleben können, wenn sie über viele Jahre hinweg gegeneinander Krieg geführt haben. Mit diesem leider sehr pessimistischen Ausblick endete nach fast 2 Stunden das Zeitzeugengespräch.
Die Schilderungen des Unterrichtsgastes wurde von den Schülern als eine eindringliche Erfahrung zur aktuellen Unterrichtseinheit aufgenommen.
Durch das Beleuchten eines Einzelschicksals wurde sowohl die Empathie gegenüber Flüchtlingen als auch die gesellschaftliche Verantwortung Schutz- und Hilfebedürftiger geweckt. Erkenntnisse, die sich durch kein Schulbuch und kein Arbeitsblatt vermitteln lassen.