Pfingsten vor 80 Jahren: Schwerer Luftangriff auf die Wasserkuppe – 13 Jugendliche starben

Gastbeitrag von Michael Knauf

Der höchste Berg der Rhön und des ganzen Bundeslandes Hessen ist mit 952 Metern über NN die Wasserkuppe. Die Wasserkuppe befindet sich im Einzugsgebiet der Stadt Gersfeld und im Landkreis Fulda.

Auf der Wasserkuppe, auch der Berg der Segelflieger genannt, entspringen die Fulda und weitere 30 Bäche. Bei gutem Wetter und einer guten Fernsicht kann man über die Rhönlandschaft, den Taunus, das Rothaargebirge und den Hohen Meißner sehen.

Im Frühjahr 1945 bereiteten sich die West-Alliierten auf den Beginn einer Invasion in der Normandie vor. Es wurde von der Anti-Hitler Koalition am 6. Juni 1944 durch die „Operation Overlord“, die zweite Front gegen Nazi-Deutschland errichtet.

Segelflieger auf der Wasserkuppe

Um vor Beginn dieser Operation die deutsche Rüstungsindustrie massiv zu stören oder auszuschalten, begann ein massiver Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. Die Ziele waren vor allem die Zentren der Chemie- und Flugzeugindustrie in Mitteldeutschland.

Die Werke waren betroffen, welche flüssige Otto- und Dieselkraftstoffe aus Kohle synthetisch herstellten. Diese Synthese wurde nach den Erfindern, den Chemikern Franz Fischer und Hans Tropsch, als Fischer-Tropsch-Synthese bezeichnet. Auch die Junkers Flugzeugwerke in Dessau wurden als ein Hauptziel markiert.

Um die deutschen Flakzentren, die hauptsächlich im Ruhrgebiet um die Großstädte Mannheim, Frankfurt /Main und den Taunus stationiert waren, zu umgehen, wurden die Bomberverbände zwischen diesen Gebieten über den Vogelsberg, der Rhön und Thüringen geleitet.

Fliegende Festung B 17 Bombenflugzeug

Pfingsten 1944: Ein Frühsommerwetter wie im Bilderbuch, einige Schwimmbäder in der Rhön hatten bereits geöffnet. Viele Ausflügler, zum Teil mit ihren Freunden, Arbeitskollegen und Familien, begaben sich auf die Wasserkuppe.

Die Flieger-HJ und HJ-Modellflieger-Pimpfe hatten ihre Zeltlager auf der Märchenwiese aufgeschlagen. Das Hotel “Deutscher Flieger“ war überfüllt, auch weil man hier Marmeladenbrote ohne Essenmarken bekam und eine leckere Fassbrause, auch Fliegerbier genannt, genießen konnte.

Auf der Wasserkuppe waren zum Zeitpunkt des Angriffes die Reichsfliegerschule (NSFK), sowie die der Luftflotte 3 zugeordnete Fliegertechnische Ausbildungsschule, eine Funkmessstation „Freya“ der Luftwaffe, ein dreimotoriges Luftwaffen-Transportflugzeug „Ju 52“, befand sich einsatzbereit auf dem Flugplatz und eine Ausbildungsstätte der Flieger-HJ stationiert.

Historische s/w Luftaufnahme der Wasserkuppe vor Pfingsten 1944 mit dem Fliegerlager, der Hermann Göringhalle, der Fliegerschule, dem Berggasthof und dem Hotel „Deutscher Flieger“

Die jugendliche Technik- und Flugbegeisterung wurde von der NS-Führung, auch auf der Wasserkuppe, schamlos ausgenutzt um ständigen Nachwuchs an Flugzeugführern, Bord-und Bodenpersonal für die deutsche Luftwaffe und den Zweiten Weltkrieg zur Verfügung zu haben.

Über 800 Viermotorige Bomber B-17 mit Begleitjägern vom Typ Mustang, flogen ab dem späten Vormittag von England kommend, die synthetischen Werke in Ruhland und die Junkersflugzeugwerke in Dessau an.

Wegen ungenügender Sichtverhältnisse konnte nur ein geringer Teil der Bombenflugzeuge ihre Last abwerfen. Deshalb wurde auf dem Rückflug versucht, militärische Ziele zu Bombardieren.

Das Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe. Über zu einer Pyramide aufgeschichtete Rhön-Basaltsteine thront ein Adler.

Die zivile Rhöner-Landbevölkerung war völlig arglos und von den zuständigen Luftschutz-Behörden überhaupt nicht oder ungenügend vorbereitet. Sie war bisher nur an ungefährliche Überflüge anglo-amerikanischer Bomberverbände gewöhnt.

Am Pfingstsonntag, dem 28. Mai 1944 gegen 15:15 Uhr, erreichte die zurückfliegende 379. Bombergruppe der USAAF, mit 17 Maschinen die Hochrhön und kurze Zeit später die Wasserkuppe. Die Wasserkuppe war von der amerikanischen Luftaufklärung in den Militärkarten, als Militärflugplatz bei Wüstensachsen ausgewiesen oder gekennzeichnet.

Nach Rauchsignalzeichen des Geschwader-Navigators, wurden um 15:16 Uhr 170 zweihundertfünfzig Kilo schwere Sprengbomben, aus ca. 7 Kilometer Höhe abgeworfen.

Das Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe. Über zu einer Pyramide aufgeschichtete Rhön-Basaltsteine thront ein Adler.

Das Getöse, Krachen und Grollen der Explosionen war bis nach Fulda zu hören. Mit einem Schlag war die sommerliche Idylle vorbei, die Zeltlager an der Märchenwiese hatten einige Volltreffer abbekommen.

Das Personal des Hotels „Deutscher Flieger“ stellte aus Tischdecken, Schürzen und Servietten Verbandsmaterial her. Ein Gersfelder Arzt richtete unverzüglich einen Notverbandsplatz ein.

Durch das beherzte und schnelle Eingreifen der Feuerwehren aus Abbstroda, Gersfeld, Poppenhausen, Obernhausen, Reulbach und Schmalnau konnten weitere Todesopfer vermieden werden.

Angehörige der Flieger HJ beim Apell und während des Marsch zu Wasserkuppe, Pfingsten 1944.

Die Fuldaer Feuerwehr übernahm sofort den Transport der Verletzten in die Fuldaer Kliniken und Lazarette.

Trotz der schnellen und umsichtigen Hilfe verstarben auf der Stelle 13 Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren. Um die 50 Verletzten konnten geborgen und vorerst gerettet werden.

Die Flugzeughalle „Hermann Göring“ brannte mit drei Motorflugzeugen, fünfunddreißig Segelflugzeugen, zwei Schleppwinden und drei Segelflugzeug-Transportanhänger vollkommen nieder. Weitere Gebäude auf der Wasserkuppe wurden stark beschädigt.

Die Stadt Geisa verfügte über eine eigene und voll ausgerüstete Flugzeughalle mit Werkstatt.

Ein schon über Mitteldeutschland getroffener B-17 Nachzügler Bomber stürzten gegen 17:25 Uhr bei Döllbach ab. Das Reichspropaganda Ministerium in Berlin berichtete voller Hass, auf Befehl ihres Ministers Dr. Joseph Goebbels, über den Angriff auf das Ausflugs-, Wanderziel und den Erholungsort Wasserkuppe, mit einer Radio-und Pressekampagne.

Es sollte so die Wut und der Volkszorn auf abgesprungene Angehörige der anglo-amerikanischen Flugzeugbesatzungen gesteigert werden. Es waren sogar, gegen die dritte Genfer Konvention von 1929, verstoßende Fälle von Lynchjustiz vorgesehen, geplant und wurden von Amtswegen toleriert.

Stellvertretend für alle 13 Todesopfer, möchten wir von den Trauerfeierlichkeiten in der Rhönstadt Geisa berichten. Die Stadt Geisa traf das traurige und tragische Geschehen und der schmerzliche Verlust vierer Schüler, auf der Wasserkuppe, ganz besonders hart.

Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa

Die Bevölkerung der Stadt und die des gesamten Geisaer Land verweilten in einer Schockstarre und sie übten eine große Anteilnahme mit den Eltern und Verwandten der verstorbenen Jugendlichen aus.

Die Thüringer Gauleitung in Weimar ordnete am Tag der Beisetzung eine Trauerbeflaggung (Halbmastbeflaggung) aller öffentlichen Gebäuden an, weiterhin wurden alle Jugendorganisationen der Umgebung, wie BDM, HJ, Flieger-HJ, NSFK, NSDAP-Ortsgruppe mit Unterorganisationen und der RAD zur Teilnahme verpflichtet.

Viele trauernde Mitbürger erwiesen den vier Geisaer Jungen, Hermann Fink (13 Jahre), Horst Fleck (13 Jahre), Helmut Rau (14 Jahre) und Bernfried Stürmer (15 Jahre) das letzte Ehrengeleit und sprachen deren Hinterbliebenen somit ihr tiefes Mitgefühl und ihre aufrichtige Anteilnahme aus.

Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa

Die vier Schüler bekamen an der Friedhofsmauer, mit Genehmigung der katholischen Pfarrgemeinde als Eigentümer des Friedhofsgrundstücks, eine würdige und ehrende Begräbnisstätte.

Ein weiterer Jugendlicher der im Jahr 1945 an seinen Kriegsverletzungen verstarb wurde ebenfalls hier bestattet. In Geisa wird dieser traurige Ort auch die „Fünf Kindergräber“ genannt. Es ist eine Stelle der Besinnung, sowie eine Mahn-und Gedenkstäte gegen Krieg und blindwütige Vernichtung.

Der Luftkrieg ging mit unverminderter Härte bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 weiter. Es folgten massive Bombardierungen, mit Tausenden zivilen Opfern, vieler deutscher Städte wie Fulda, Hünfeld, Eisenach, Kassel, Hamburg und Dresden, um nur einige zu nennen.

Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa

Nach 80 Jahren dürfen wir nicht vergessen, dass der unselige Zweite Weltkrieg von der damaligen, verbrecherischen Hitler-Regierung, des ehemaligen deutschen Reich im Jahr 1939 vom Zaun gebrochen wurde.

Die Anti-Hitler-Koalition bestehend aus der USA, Frankreich, England und der Sowjetunion befreite Europa vom deutschen Faschismus.

Während oder nach jedem Krieg ist die Zivil-Bevölkerung, egal auf welcher Seite, die Gruppe, welche die größten Opfer zu beklagen hat. Krieg ist das Schlimmste und Unsinnigste was es auf unserer Welt gibt - Nie wieder Krieg - !

Die fünf Kindergräber auf dem Friedhof von Geisa/Rhön: Eine Mahn-und Gedenkstätte

Wer mehr über die tragischen Geschehnisse am Pfingstsonntag 1944 auf der Wasserkuppe erfahren möchte, dem empfehlen wir folgende Publikationen:

-„Die Wasserkuppe-Ein Berg mit Geschichte“, Autor: Joachim Jenrich , Verlag Parzeller Fulda, Erscheinungsjahr: Mai 2007, ISBN-Nr.: 10:3790003891 oder 9783790003895

-„Die Geschichte des Segelfluges: 60 Jahre Wasserkuppe“, Autor: Georg Brütting, Motorbuch Verlag, Erscheinungsjahr: Januar 1972, ISBN-Nr.: 978-3879432080

-„Die Wasserkuppe“-Berg mit vielen Gesichtern, Autor Joachim Hohmann, Verlag Rhön, Erscheinungsjahr 1999, ISBN-Nr.: 9783931796730

Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa

Quellenverzeichnis:

Regionale Presse wie Fuldaer Zeitung, STZ, Thüringer Tageblatt, Geisaer Zeitung Nr.: 14/1990
Internet: Wikipedia, o.g. Buch-Publikationen, Bundeszentrale für politische Bildung, Autoren: Gerd Schneider und Christiane Toyka-Seid,

Bildautoren:

Sammlungen und Archive: Edeltrud Thüring geb. Schreiber, Elli Weber geb. Rau (†), Frank Ißbrücker, Michael Knauf

Fluglehrer Franz Schreiber, das Geisaer Segelflugzeug kurz vor dem Start und in der Luft.

Abkürzungen und Erklärungen :

Genfer Konvention: Schutz der Menschen im Krieg. Es gibt vier Genfer Verträge die zurzeit fast jedes Land der Welt unterschrieben hat. In dem Papier wurde vereinbart Menschen in einem Krieg so gut wie möglich zu schützen und wie die Zivilbevölkerung, Flüchtlinge, verwundete und Kriegsgefangene behandelt werden müssen. Es dürfen keine Kriegsgefangenen gefoltert oder getötet werden. Verstoßen ein Staat oder dessen Bürger gegen diese Vorschriften, dann können sie vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt werden. (Bundeszentrale für politische Bildung, Autoren: Gerd Schneider und Christiane Toyka-Seid)

USAAF: United Stats Army Air Forces = amerikanische Luftwaffe

B-17: ein von Boeing gebautes Bombenflugzeug, auch Flying Fortress fliegende Festung wegen der schweren MG-Bewaffnung genannt, insgesamt wurden um die 13.000 B-17 hergestellt, die Maschine war weitgehend während der Tageszeit (Tagesbomber) im Einsatz über Deutschland, anglo-amerikanische Flugzeuge ; englisch-amerikanische Flugzeuge

Ju-52: eine von den Junkers Flugzeugwerken AG in Dessau entwickelte und hergestellte Transport-und Passagiermaschine, sie war das Rückgrat des Lufttransportwesen der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, es konnten im Produktionszeitraum von 1932 – 1945 um die 4845 Maschinen gefertigt werden, das Flugzeug wurde auch von Amiot in Frankreich und von den spanischen Flugzeugwerken CASA hergestellt

NSFK: Nationalsozialistisches Fliegerkorps; paramilitärische Organisation, vormilitärische Flugausbildung als Luftsport getarnt, 1945 aufgelöst und verboten

HJ: Hitlerjugend, Nationalsozialistische Jugendorganisation nur für Jungen, wurde 1945 aufgelöst und verboten

Flieger-HJ: Nationalsozialistische Jugendorganisation die sich mit Segelflugsport und Modellfliegerei beschäftigte, hauptsächlich um Nachwuchs mit Vorkenntnissen für die deutsche Luftwaffe zu erziehen, 1945 aufgelöst und verboten

Gauleitung Weimar: damalige Thüringer Landesregierung im so genannten Dritten Reich

NSDAP: war die einzig zugelassenen Partei in Hitler-Deutschland (1933-1945), wurde am 20.September 1945 aufgelöst und für illegal erklärt

BDM: Bund Deutscher Mädchen, Jugendorganisation nur für Mädchen, im nationalsozialistischen deutschen Reich, 1945 aufgelöst und verboten

RAD: Reichsarbeitsdienst, Nationalsozialistische Organisation für Arbeitsbeschaffung und vormilitärische Ausbildung, Dienstzeit 6 Monate nur für Männer, am 10. Oktober 1945 aufgelöst und verboten

Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Trauerzug und Beisetzung der vier Jugendlichen in Geisa
Die Stadt Geisa verfügte über eine eigene und voll ausgerüstete Flugzeughalle mit Werkstatt.
Segelflieger auf der Wasserkuppe
Segelflieger auf der Wasserkuppe
Segelflieger auf der Wasserkuppe
Segelflieger auf der Wasserkuppe
Fluglehrer Franz Schreiber, das Geisaer Segelflugzeug kurz vor dem Start und in der Luft.
Fluglehrer Franz Schreiber, das Geisaer Segelflugzeug kurz vor dem Start und in der Luft.
Angehörige der Flieger HJ beim Apell und während des Marsch zu Wasserkuppe, Pfingsten 1944.