Gastbeitrag von Siegfried Hartmann („Itzi“)
Die Geschichte vom „welle Huld“, wie der wilde Reinhold in Frankenheim genannt wurde, ist eine jener seltsamen und tragischen Erzählungen, die sich tief in das Gedächtnis eines Dorfes einbrennen.
Sie handelt von einem Mann, der zwischen Rebellion und Verzweiflung lebte, und von einem Grab, das noch Jahrzehnte später für Aufsehen sorgte.
Reinhold Friedrich wurde 1843 als dreizehntes Kind der Familie Balthasar und Marie Friedrich geboren. In einer Zeit, in der das Leben hart und entbehrungsreich war, wurde er in einem Rucksack nach Oberweid getragen, um getauft zu werden. Schon früh zeigte sich, dass Reinhold ein eigenwilliger Charakter war.
Als die Hungertyphus-Epidemie Frankenheim heimsuchte und 80 der 600 Einwohner dahinraffte, war Reinhold 33 Jahre alt. Er überlebte, aber das Leid und der Tod, die er miterlebte, hinterließen Spuren in ihm.
Reinhold war bekannt dafür, durchziehenden Pferdehändlern zu helfen, doch sein Temperament brachte ihn oft in Schwierigkeiten. Eines Tages, als er im Dorfkrug beim Schnaps saß, eskalierte eine Situation. Zwei Pferde waren vor dem Gasthof angebunden, und einige junge Burschen begannen, die Tiere zu ärgern und Reinhold zu hänseln.
Trotz Warnungen und Drohungen hörten sie nicht auf. Da packte den „welle Huld“ die Wut. Mit einem Brotmesser stürzte er hinaus und verletzte einen der Burschen schwer. Für diese Tat musste er zweieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Nach seiner Entlassung versuchte Reinhold sein Glück in Westfalen, wo er eine Bergmannswitwe heiratete. Doch die Ehe scheiterte, und er kehrte enttäuscht nach Frankenheim zurück. Der einst so lebensfrohe Mann ergab sich immer mehr dem Alkohol.
Wenn er betrunken war, murmelte er oft: „Mei Flösch fresse die Krobbe! Mei Grob wörd eu nett fenne“ – eine dunkle, rätselhafte Äußerung, die die Dorfbewohner erschaudern ließ.
Am 27. Januar 1907, in einer kalten Winternacht, machte Reinhold sich betrunken auf den Weg in den Rhönwald, um Steckeholz zu klauen. Ein schrecklicher Sturm tobte, und Reinhold setzte sich vermutlich auf seinen Schlitten und schlief ein. Manche behaupteten später, er sei dem „Urheuwel“ begegnet, einem sagenumwobenen Wesen der Rhön.
Am 16. Dezember fand man sein Gerippe unter einer großen Fichte nahe des Buchschirms. Neben seinen Überresten lag ein Püllche – ein kleiner Krug, der sein letzter Begleiter gewesen sein mochte.
Als die Gemeindediener Reinholds sterbliche Überreste zu Grabe trugen, sagte einer von ihnen, ein junger Mann namens Heinrich: „Inn dos Grob well ich mo nett nei.“ Diese Worte sollten sich Jahre später auf unheimliche Weise bewahrheiten.
Genau 44 Jahre später, im Jahr 1951, stand Heinrichs Sarg vor dem Grab des alten Reinhold. Heinrich, inzwischen ein alter Mann, war gestorben, und seine Beerdigung sollte in aller Ruhe vonstattengehen.
Doch als der Sarg ins Grab hinabgelassen wurde, geschah etwas Unerklärliches: Mit einem lauten Schlag und Krach flog der Sargdeckel hoch, und der Verstorbene schoss im Totenhemd mit Gepolter aus dem Sarg ins Grab.
Was war geschehen? Der Sargdeckel, der üblicherweise mit Flügelschrauben befestigt war, war nicht richtig gesichert worden. Stattdessen hatte man einen Nagel mit einem Drahthaken verwendet. Durch das einseitige Schwergewicht des Sarges stürzte der Tote heraus – ein makabrer Zufall, der die Dorfbewohner in Angst und Schrecken versetzte.
Die Geschichte vom „welle Huld“ und dem seltsamen Vorfall um sein Grab ist bis heute in Frankenheim lebendig. Sie erzählt von einem Mann, der zwischen den Welten hin- und hergerissen war, und von einem Grab, das selbst im Tod keine Ruhe fand.
Vielleicht war es Reinholds Geist, der sich noch einmal bemerkbar machen wollte – oder einfach das Schicksal, das seine Hand im Spiel hatte.
So oder so bleibt die Geschichte ein faszinierendes Stück Dorfgeschichte, das noch immer erzählt wird, wenn die Nacht über der Rhön hereinbricht.