Gastbeitrag von Susanna Leubecher
Wenn man die Tanner Stadtkirche nicht kennen würde, hätte man meinen können, die Altar-Silhouette sei eigens für die Aufführung der „Johannespassion“ von Heinrich Fidelis Müller am Abend des Karfreitags hergerichtet worden:
Das lebensgroße Kruzifix erhob sich inmitten der musikalischen Akteure und war durch Illumination eindrucksvoll in Szene gesetzt.
Die originale Orchesterfassung Müllers erklang unter der Federführung von Ulrich Moormann. Moormann führte die Solisten Vera Senkovkaskaja (Sopran), Klara Golbach (Alt), Constantin von Hertwig (Tenor) und Kilian Gottwald (Bass), das Rathgeberensemble Fulda (mit Streichern und Holzbläsern) und das Vokalensemble Tann mit großer Übersicht durch das biblische Kreuzigungsgeschehen.
Der Aufführung waren lediglich drei Chorproben der Tanner Vokalensembles vorausgegangen, innerhalb derer Kantor Thomas Nüdling die 20 Sängerinnen und Sänger zu einem lebendigen und flexiblen Klangkörper formte:
So gelangen die schlichten Choralsätze würdevoll, die kommentierenden Sätze intensiv.
Wenn das Vokalensemble in das biblische Geschehen eingriff, etwa bei „Hinweg mit diesem“ oder „Kreuzige ihn“, verlieh es den Sätzen Sättigung und Prägnanz. Besonders berührend gelang das bei den sieben letzten Worten Jesu, die mit dem anschließenden Choral „Ich danke dir für deinen Tod“ wahrhaft unter die Haut gingen.
Constatin von Hertwig hatte als Evangelist eine das Werk zusammenhaltende Aufgabe zu bewältigen und führte erzählend seine musikalischen Mitstreiter durch die biblische Erzählung. Faszinierend war hierbei, wie Hertwig – stets gemeinsam mit dem Orchester als Accompagnato – den von Müller zwar eher knapp, aber sehr bewusst gewählten musikalischen Mitteln großen Ausdruck verlieh.
Kilian Gottwald sang mit souveräner Ruhe die Christus-Partien wie etwa das Arioso „Lasset davon ab“ bei der Gefangennahme oder das Verhör mit Pilatus. Aus der biblischen Szenerie heraus sprach Altistin Klara Golbach mit warmem Timbre in „In jenen äußersten Stunden“ heutige Zuhörer an.
Und Sopranistin Vera Senkovkaskaja nahm mit ihren Arien „O allerschönstes Angesicht“ und „Wunden hast du, Geliebter“ eindrucksvoll die Rolle des mitleidenden Gläubigen ein.
Das Fazit des Abends: Heinrich Fidelis Müller hat mit seinem 90-minütigen Werk nicht nur eine umfassende Vertonung der Passion Jesu vorgelegt, sondern vor allem eine solche, die in ihrer noblen Klarheit verbunden mit einer musikalischen Tiefe den Text behandelt und die Handlung zu mitgehendem Leben für Ausführende und Zuhörende erweckt.
Darin liegen ihr großes Geheimnis und vor allem ihre Würde. Bleibt zu wünschen, dass diese Passion auch künftig erklingt.
Statt Applaus erhoben sich die vielen Zuhörer von ihren Plätzen und beteten gemeinsam mit Pfarrer Klaus-Dieter Inerle das Vaterunser.