Erinnerung als Verantwortung – Bischof Gerber feiert Friedensgottesdienst im Fuldaer Dom

Mitteilung des Bistums Fulda

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist schmerzhaft, aber Voraussetzung dafür, Zukunft gestalten zu können. Dies betonte Bischof Dr. Michael Gerber während eines Gedenkgottesdienstes im Fuldaer Dom anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa.

Der Gottesdienst war Teil eines Aktionstages zum Gedenken an die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. In seiner Predigt hob Bischof Gerber die zentrale Bedeutung des Erinnerns für die Zukunft hervor.

„Juden und Christen verstehen Erinnerung so, dass sie nicht einfach nur Information über irgendetwas ist, sondern vielmehr zur Vergegenwärtigung führt, die mich prägt und die mich entscheidend auf die Zukunft ausrichtet.“

Umso wichtiger sei es, auch heute und in Zukunft das Gedenken an die Schrecken der NS-Herrschaft und den Zweiten Weltkrieg wachzuhalten, betonte Gerber.

„Die letzten Stimmen der Augenzeuginnen und Augenzeugen jenes Grauens verstummen in unseren Tagen für immer“, sagte er. „Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wächst eine Generation junger Menschen heran, die keine Möglichkeit mehr hat, Augenzeuginnen und Augenzeugen zu begegnen.“

Bereits Ende April hatte Bischof Gerber diesen Gedanken in einer bewegenden Gedenkfeier in der KZ-Gedenkstätte Dachau formuliert. Dort hatte er als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die Predigt gehalten, als rund 1.400 Gläubige mit einem Gottesdienst an die Befreiung des Konzentrationslagers in der Nähe von München vor 80 Jahren erinnerten.

Herausfordernd, aber notwendig

Gerber betonte, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte zwar herausfordernd sei, aber Voraussetzung dafür, langfristig Verantwortung zu übernehmen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

„Als Deutsche haben wir in den vergangenen 80 Jahren erfahren, wie schmerzhaft es ist, sich dieser Vergangenheit zu stellen“, betonte Gerber. „Als Kirche lernen wir in diesen Jahren angesichts der unzähligen Taten sexualisierter Gewalt erneut, wie schmerzhaft es ist, sich dieser Realität zu stellen.“

Im Sommer erwartet das Bistum Fulda die Veröffentlichung des Abschlussberichtes der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt“.

Diese Veröffentlichung ist ein wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung mit den zurückliegenden Fällen von Missbrauch und dabei, aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen und nachhaltige Maßnahmen für die Gegenwart und die Zukunft zu entwickeln.

Erinnerung und Empathie

Eindringlich warnte der Bischof am Donnerstag im Fuldaer Dom auch vor dem Umschreiben der Geschichte und dem Verlust von Empathie.

„Als Christen müssen wir wachsam sein, wenn – wie seit längerem in Russland und jetzt auch in den USA – Geschichte umgeschrieben wird, wenn insbesondere die Geschichte der Unterdrückung von Minderheiten ausgeblendet wird“, erklärte er.

Dies könne ein erster Schritt zum Verlust von Empathie gegenüber diesen Gruppen sein und somit der Beginn von neuen Formen der Diskriminierung.

„Wir gedenken heute derjenigen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugung oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, als Angehörige der Streitkräfte oder als Geflüchtete verfolgt und gedemütigt wurden und zu Tode kamen“, sagte Bischof Gerber.

Besonders hob er die Opfer der Shoa und der Euthanasie hervor und erinnerte an die systematische Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Bürgerinnen und Bürgern der Völker Osteuropas sowie gleichgeschlechtlich Orientierten.

Befreiung durch Alliierte

„Aus eigener Kraft war unserem Volk die Befreiung aus dem Würgegriff des NS-Regimes und seiner Ideologie nicht möglich gewesen“, erklärte Gerber. Der Einsatz der Alliierten bildete die Grundlage für den Neubeginn eines demokratischen und rechtsstaatlichen Deutschlands.

„Wir brauchten die anderen, damit die Menschenwürde hierzulande wieder Grundlage aller rechtlicher Ordnung wurde“, so Gerber. „Wir brauchten die anderen, um wieder wir selbst zu werden.“

In seiner Predigt hob Bischof Gerber auch die Bedeutung heutiger Bündnisse zwischen Demokratien hervor.

„Gerade in unseren Tagen, in denen jahrzehntelange Bündnisse unter demokratischen Partnern infrage gestellt werden, ist es gut, dies uns erneut ins Bewusstsein zu rufen“, sagte er. Diese Bündnisse seien essenziell, um Rechtsstaatlichkeit und den Einsatz für die Würde des Menschen zu garantieren.

Aufruf zum Engagement

Bischof Gerber rief dabei auch jede Einzelne und jeden Einzelnen zu freiwilligem Engagement und persönlichem Einsatz für den gesellschaftlichem Zusammenhalt auf.

„Eine lebenswerte Gesellschaft braucht eine kritische Masse an Menschen, die mehr in das Gemeinwohl investieren, als der Staat gesetzlich von ihnen einfordern kann“, sagte er.

Der Bischof ermutigte die Anwesenden, sich in demokratischen Parteien und im Ehrenamt zu engagieren, um eine lebenswerte Zukunft mitzugestalten: „Unser sozialer Zusammenhalt lebt von freiwilligem Engagement: Hier sind gerade wir Christen gefragt, jetzt, in dieser Situation, angesichts all der Spannungen und Polarisierungen.“

Aktionstag in Fulda

Der Friedensgottesdienst wurde musikalisch gestaltet vom Fuldaer Jugendkathedralchor unter Leitung von Franz-Peter Huber, an der Orgel spielte Ulrich Moormann.

Der gesamte Aktionstag in Fulda wurde als Teil der Erinnerungskultur maßgeblich gestaltet von verschiedenen katholischen Verbänden und der Katholischen Akademie des Bistums Fulda. Er begann um 10 Uhr auf dem Universitätsplatz mit interaktiven Ständen und unterschiedlichen Aktionen.

Um 16 Uhr fand dort eine Podiumsdiskussion statt, an der auch Bischof Gerber teilnahm. Den Abschluss bildete ein Open-Air-Konzert mit Judy Bailey um 19:30 Uhr auf dem Universitätsplatz.

Infokasten - Bischof Gerber im Podcast: Bewegendes Gedenken in Dachau

Gut zwei Wochen vor dem Aktionstag in Fulda hat Bischof Dr. Michael Gerber als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz an einer bewegenden Erinnerungsfeier in Dachau teilgenommen.

In seiner Predigt anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers in der Nähe von München vor 80 Jahren betonte er die zentrale Rolle des Erinnerns für die Zukunft und die Versöhnung zwischen den Nationen.

In einer aktuellen Folge des Bistums-Podcasts berichtet Bischof Gerber nun sehr eindrücklich über die Gedenkfeier in Dachau, seine persönliche Verbindung zu dieser KZ-Gedenkstätte und die Bedeutung solcher Gedenktage in einer Zeit, in der die letzten Zeitzeugen versterben. Der Podcast ist auf dem YouTube-Kanal und der Website des Bistums Fulda verfügbar.