Abgrenzung bis Trikottausch – Ex-Nationalspieler Nachtweih und Irmscher auf Point Alpha

Gastbeitrag von Wolfgang Weber

Fußball kann mehr sein als nur Sport – eben auch Politik!

Unter der Überschrift „Kalter Krieg in kurzen Hosen“ riefen die Fußball-Idole Norbert Nachtweih und Harald Irmscher gemeinsam mit dem Sporthistoriker Dr. René Wiese und dem Edelfan Bernhard Schmelzer die vergessene Fußballrealität im geteilten Deutschland ins Gedächtnis.

Das aufmerksame Publikum in der Gedenkstätte Point Alpha erfuhr bei einer Podiumsdiskussion von den harten Klassenkämpfen, die auf und rund um den grünen Rasen ausgetragen wurden, aber auch von Momenten, in denen die scheinbar unüberwindliche Mauer doch geschickt umdribbelt wurde.

Begrüßt wurden die Gäste vom Geschäftsführenden Vorstand der Point Alpha Stiftung, Benedikt Stock, der sich zudem bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung für die Unterstützung und beim Sportverein Rasdorf für die Requisiten bedankte.

Die Zeit des Kalten Krieges wird meist mit Soldaten und Atomwaffen, verfeindeten Systemen und dem Bau der Grenze in Verbindung gebracht. Daneben gab es aber auch eine sportpolitische Komponente, die sich abseits der Öffentlichkeit zumeist hinter den Kulissen abspielte.

„Denn Sport war Teil des Kampfes der Ideologien“, erläuterte Dr. René Wiese vom Zentrum deutsche Sportgeschichte in Berlin-Brandenburg.

„Trafen Fußballteams aus der Bundesliga und aus der DDR-Oberliga aufeinander, handelte es sich nicht bloß um eine sportliche, sondern auch um eine systempolitische Auseinandersetzung: Die siegreiche Mannschaft bewies zugleich die Leistungsfähigkeit und Überlegenheit des jeweiligen Systems.“

Dr. Wiese schilderte, welche Aufs und Abs die Sportpolitik im Laufe der Jahrzehnte durchlief. „Prinzipiell habe die DDR-Führung die Athleten gebraucht, um mit dem Westen ins Gespräch zu kommen“, erklärt der Historiker.

Phasen intensiver Kontakte wechselten sich aber immerzu mit Durststrecken ab. So entschied der Deutsche Sportbund 1952, alle Kontakte abzubrechen. Bereits im nächsten Jahr war diese Idee wieder Makulatur.

Dem Mauerbau 1961 folgte eine entsprechend lange Eiszeit, dann 1974 das deutsch-deutsche Sportprotokoll. Fortan konnten sich westdeutsche Clubs - von der Bundesliga bis zur Kreisklasse - für Gastspiele in der DDR bewerben.

Anhand etlicher Quellen demonstriert Wiese, wie detailliert jedes Match geplant und dabei propagandistisch agiert wurde.

Allzu viele Ost-West-Duelle, die in der DDR als „internationale Spiele“, in der BRD dagegen als „Freundschaftsspiele“ firmierten, kamen aber gar nicht zustande.

Michael Ballack? Ulf Kirsten? Matthias Sammer? Nein, der erfolgreichste Bundesligaspieler aus Ostdeutschland heißt: Norbert Nachtweih. Dabei hatte er es seinerzeit wesentlich schwerer.

Vor 46 Jahren entschloss er sich zur Flucht, die sich anhört wie ein Spionageroman aus dem Kalten Krieg.

„Wir waren auf dem Basar, haben uns verlaufen und dann den Bus verpasst“, eröffnet der 64-Jährige dem Publikum im Haus auf der Grenze. Natürlich ein Scherz.

Die Wahrheit: während der U-21-EM im türkischen Bursa nutzte er spontan die Gelegenheit, sich mit seinem Kameraden Jürgen Pahl abzusetzen. Nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen und sportlichen Gründen.

„Immer haben wir uns gefragt, wenn wir heimlich Bundesliga im Fernsehen schauten: Könnten wir da mithalten? Das wollte ich wissen!“ Nein, wirklich Angst vor der Rache der Stasi hätte er nie gehabt, betont Nachtweih.

„Ich wollte nachts lieber ruhig schlafen“, fügt er mit einem Augenzwickern hinzu.

Mithalten konnte die DDR im Spiel der Spiele: Am 22. Juni traf die DDR bei der WM 1974 auf die BRD – und am Ende stand es sensationell 1:0.

„Wir haben verdient gewonnen“, sagt Harald Irmscher rückblickend, der bis zu seiner Auswechslung in der 68. Minute in diesem zum „Bruderkampf“ hochstilisierten Duell auf dem Feld stand.

Mitgebracht hat der 76-Jährige in die Gedenkstätte Point Alpha sein eigenes Trikot und zur Überraschung aller auch das Original-Trikot von „Kaiser“ Franz Beckerbauer, den er damals zum Tausch überreden konnte.

Politische Bedeutung hatte dieses Ereignis in Funktionärskreisen, für die Akteure aber nicht, so Irmscher. Der Trainer hat uns abgeschottet und nur gesagt: „Geht raus, spielt Fußball und zeigt denen, dass ihr keine Roboter seid.“

In der DDR-Kabine saßen dann West- und Ostdeutsche zusammen. Irmscher: „Unsere Aufpasser sahen wegen des Sieges großzügig darüber hinweg.”

„Die echten Anhänger haben den DDR-Fußball weitgehend akzeptiert, aber nicht geliebt“, berichtet Bernhard Schmelz.

Die große Leidenschaft galt vor allem der DFB-Elf und er sowie seine Freunde hätten – wie viele andere Ostdeutsche auch - so Einiges auf sich genommen, um die Auftritte der Fußballstars aus dem Westen erleben zu dürfen. Ein Phänomen der Verbundenheit.

„Natürlich hatte die Stasi uns auf dem Schirm. Und nicht nur, wenn wir die Mannschaften aus dem Westen ins osteuropäische Ausland begleitet haben“, erzählt der Geisaer.

Es sei alles dokumentiert worden, was die Fußball-Fans unternommen hätten. „Nur weil ich Fan gewesen bin, hat der Überwachungsapparat fünf informelle Mitarbeiter (IMs) auf mich angesetzt“, hat Schmelz in seiner MfS-Akte nachlesen können.

Fußballer-Vita:

Harald Irmscher: Dreimaliger FDGB-Pokalsieger, DDR-Meister, WM-Teilnehmer, Olympia-Dritter - Irmscher ist eine Legende des DDR-Fußballs. Beim FC Carl Zeiss Jena wurde der „Sir“ unter den Trainern Georg Buschner und Hans Meyer Teil einer Ära.

Irmscher kam auf 41 A-Länderspiele (4 Tore) und absolvierte 282 Pflichtspiele (44 Tore) für den FCC und schnupperte später als Trainer auf Zypern, in Weißrussland, Singapur und Syrien auch internationale Fußballluft.

Norbert Nachtweih: Spielte bis zu seiner Flucht beim Halleschen FC Chemie 35 Spiele in der DDR-Oberliga. Mit Eintracht Frankfurt gewann er 1980 den UEFA-Cup sowie den DFB-Pokal 1981.

Mit dem FC Bayern München holte er vier Deutsche Meisterschaften, zwei DFB-Pokalsiege und bestritt das Endspiel des Europapokals der Landesmeister 1987. Danach kickte er noch unter anderem für den französischen Erstligisten AS Cannes. Später arbeitete er auch als Trainer.