Barrierefrei ist mehr als eine Rampe – Zu Gast beim Schwerhörigen-Verein Eisenach

Gastbeitrag von Sandra Blume

Zu Gast beim Schwerhörigen-Verein Eisenach e.V. waren Mitte Januar die Behindertenbeauftragte des Wartburgkreises, Nicole Briechle und die Sozialplanerin des Wartburgkreises, Carina Unkart-Schmidt.

Beide führten ein Gruppeninterview mit Betroffenen um herauszufinden, was Menschen mit Hörbehinderung in verschiedenen Lebensbereichen für eine gute und gelungene Teilhabe im Wartburgkreis brauchen.

Dieses und weitere Interviews mit anderen Fokusgruppen bilden den nächsten Schritt auf dem Weg zu einem Maßnahmenplan des Wartburgkreises zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Begleitet wurde das Treffen von einer Schriftdolmetscherin, die das Gesagte sofort in Schrift umwandelte, zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen und jeder Menge Technik.

Nahezu 20 Betroffene waren der Einladung gefolgt und berichteten aus ihrem Alltag. Anhand der vielen Beispiele wurde schnell klar: in allen Lebensbereichen stoßen Menschen mit Hörbehinderung tagein tagaus auf enorme Kommunikationsbarrieren.

„Ich bin schon zweimal in der Bibliothek eingeschlossen worden, weil ich die akustische Durchsage der Schließung nicht gehört habe,“ berichtet ein Mann.

Eine andere Besucherin erzählt: „Wenn ich irgendwo anklopfen muss, höre ich das ‚Herein‘ nicht.“ Aufgrund der „Unsichtbarkeit“ der Beeinträchtigung fehle in der Gesellschaft oft das Verständnis für die Hürden von Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen.

Barrierefreiheit sei eben mehr als das Vorhandensein einer Rampe. Die meisten Menschen wüssten nicht, dass selbst die Verschriftlichung der Deutschen Lautsprache für einen Großteil der gehörlosen Menschen eine enorme Schwierigkeit darstellt.

Denn die Deutsche Gebärdensprache bedient sich einer ganz anderen Grammatik. „Ein normales Buch zu lesen, ist für mich, wie wenn ich ein englisches Buch lesen müsste,“ vergleicht eine Betroffene.

Ihre Muttersprache, die Deutsche Gebärdensprache, könne sie in der Regel nur mit anderen Gehörlosen sprechen. Von allen lautsprachlichen Kommunikationen bleibe sie ausgeschlossen.

Dieser Ausschluss aus der sprechenden Gesellschaft hat gravierende seelische Folgen, waren sich die Besucher einig. Die Mutter eines Mädchens mit Hörbehinderung berichtet, dass selbst Begegnungen mit Kindern auf dem Spielplatz, in denen das Sprechen nicht im Vordergrund stand, für die Tochter überaus belastend waren.

Nicht mit anderen kommunizieren zu können, grenze aus und verstärke das Gefühl der Isolation. Diese seelische Last habe ihrer Tochter schwer zugesetzt.

„Genau deswegen ist es wichtig, den Betroffenen zuzuhören. Dieses Gewicht der seelischen Folgen ist durch die heutige Befragung selbst für mich neu dazugekommen,“ so Carina Unkart-Schmidt, Sozialplanerin des Wartburgkreises.

Sie hatte vor zwei Jahren bereits die erste Befragung zum Thema Barrierefreiheit im Wartburgkreis durchgeführt.

„Natürlich hatte ich bei den damaligen Experteninterviews auch Fachleute aus dem Bereich Hörbehinderung befragt. Schon damals spiegelte sich die immense Benachteiligung hörbehinderter Menschen in den Ergebnissen wider.

Aber nur die Ergänzung durch die Betroffenen-Sicht vervollständigt das Bild und macht das ganze Ausmaß der seelischen Belastung aufgrund der Ausgrenzung deutlich. Von daher bin sich sehr dankbar für den heutigen Termin,“ so ihr Fazit.

Die Erfahrung ausgegrenzt zu sein, machte auch Nicole Briechle, die kommunale Beauftragte für Menschen mit Behinderung des Wartburgkreises. Sie berichtete von einer Tagung der Gehörlosen, an der sie kürzlich teilnahm.

„Plötzlich war ich diejenige, die nicht kommunizieren konnte, die isoliert war. Aber zum Glück gab es liebe Menschen, die für mich gedolmetscht haben.“ Auch sie zeigte sich beeindruckt von der Größenordnung der Kommunikationsbarrieren.

Daher gilt ihr Aufruf allen Interessierten, sich am Prozess der Maßnahmenentwicklung zu beteiligen. „Wir brauchen dringend die Stimmen der Betroffenen, um passgenaue Maßnahmen zu entwickeln,“ so ihr Appell.

Wer an einer Mitarbeit interessiert ist, kann sich gern an die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen des Wartburgkreises, Nicole Briechle, telefonisch unter 03695-615 115 oder per E-Mail an buergerbeauftragte@wartburgkreis.de, werden.