Gastbeitrag von Thomas Nüdling
Leipzig gilt als „die“ Bach-Stadt. Hier verbrachte Johann Sebastian Bach (1685-1750) nicht nur die längste Zeit seines Lebens, sondern prägte durch sein dortiges Wirken maßgeblich und nachhaltig Kirche und Kultur.
Auch in der Rhön gab es solch prägende Persönlichkeiten wie etwa Valentin Rathgeber (1682-1750) aus Oberelsbach, Johann Michael Bach (1745-1820) aus Tann und Heinrich Fidelis Müller (1837-1905) aus Fulda, dessen „Johannespassion“ am Karfreitag in Tann seine Aufführung findet.
Heinrich Fidelis Müller wurde 1837 in Fulda geboren. Sein Geburtshaus, die Hofschmiede Müller, ist heute noch in der dortigen Kanalstraße zu finden.
Musikunterricht erhielt er bei Michael Henkel. Nach dem Studium der Theologie in Fulda wurde er 1859 zum Priester geweiht.
Seine erste Pfarrstelle versah er in Bockenheim bei Frankfurt am Main, 1873 wurde er in Kassel Seelsorger der St.-Elisabeth-Gemeinde, wo sein erstes größeres Werk entstand, das „Weihnachtsoratorium“ op. 5. Mit dieser Komposition verfolgte er pastorale Zwecke, denn die gesamte Gemeinde konnte musikalisch oder darstellerisch mitwirken: Angeregt durch die Passionsfestspiele in Oberammergau sah das Stück „lebende Bilder“, also stehende Darstellungen durch Mitwirkende vor.
1890 wechselte Müller an eine Pfarrstelle in Amöneburg bei Marburg. Hier verfasste er, nicht zuletzt wegen des großen Erfolges des Weihnachtsoratoriums, 1892 die „Johannespassion“ op. 16. Im Jahre 1905 starb Müller als Domkapitular in Fulda.
Sein musikalisches Schaffen mit Liedern, Chorsätzen, Messen und weiteren Oratorien entstand während einer intensiven priesterlichen Beanspruchung in der Zeit des Kulturkampfes. Während aus seiner Feder nur Fassungen für Chor, Soli und Orgel bekannt sind, wurden die Oratorien von fremder Hand instrumentiert.
Im Falle der „Johannespassion“ stammt die ausgedehnte Orchesterfassung von dem im Jahre 1831 in Fritzlar geborenen Winand Nick, der ebenfalls in Fulda ausgebildet wurde und später als Dommusikdirektor in Hildesheim amtierte.
Die „Johannespassion“, zu der noch ein Ostersupplement op. 17 existiert, ist Müllers umfangreichstes Werk. Die Partitur erschien, wie alle anderen Werke Müllers im Musikverlag Aloys Maier in Fulda und ist, anders als Partituren anderer Oratorien, erhalten geblieben.
Seit vielen Jahren schon zeichnet sich Regionalkantor Ulrich Moormann für die Sammlung und Zusammenführung der deutschlandweit verstreuten Werke Müllers im „Heinrich-Fidelis-Müller-Archiv“ des Bischöflichen Kirchenmusik-Instituts Fulda verantwortlich.
Moormann überträgt die Werke in moderne Schriftfassungen und digitalisiert sie, um sie für die Nachwelt verfügbar zu machen.
„Die Werke Müllers zeichnen sich durch eine gute Fassbarkeit und handwerkliche Qualität aus, die sie auch für kleinere Chöre attraktiv macht“, resümiert er Müllers Schaffen.
Dem pflichtet Kantor Thomas Nüdling bei, der derzeit für die Aufführung der „Johannespassion“ mit einem Auswahlchor probt: „Die Werke bestechen durch Klarheit in ihrer Faktur sowie Empathie in ihrem Ausdruck.“
Am Karfreitag, 29. März 2024 kommt die „Johannespassion“ op. 16 für Soli, Chor und Orchester um 19 Uhr in der Stadtkirche Tann zur Aufführung.
Das Vokalensemble Tann (Einstudierung: Thomas Nüdling), das Rathgeberensemble Fulda sowie die Solisten Vera Senkovkaskaja (Sopran), Klara Golbach (Alt), Constantin von Hertwig (Tenor) und Kilian Gottwald (Bass) lassen die Leidensgeschichte Jesu unter der Gesamtleitung von Ulrich Moormann erklingen.
Der Eintritt ist frei. Am Ausgang besteht eine Spendenmöglichkeit.